Der Agent und der Anarchist

Ilija Trojanows groß angelegter Roman „Macht und Widerstand“ ist eine unbarmherzige Anklage gegen die einstigen Täter im kommunistischen Bulgarien. Die Suche nach größtmöglicher Eindeutigkeit durch Materialfülle lässt die Hauptfiguren aber nicht lebendig werden.

Macht und Widerstand“ heißt das 500-Seiten-Werk Ilija Trojanows – nur drei Wörter, aber gleich zwei gewichtige Begriffe, die die Latte für den Text hoch legen. Der Text will auch viel und setzt sich mit einem großen Thema auseinander, das der Titel klar benennt: „Macht und Widerstand“ ist eine groß angelegte Studie der Dialektik beider Begriffe, die Trojanow im kommunistischen und postkommunistischen Bulgarien, wo er geboren wurde, ansiedelt.

Im Roman verkörpert werden die Gegenpole durch die Hauptfiguren Konstantin Scheitanow und Metodi Popow. Metodi ist durch und durch Opportunist, ein Apparatschik, der sich sein Leben innerhalb des Machtgefüges bestens einzurichten weiß, sodass ihm auch die Wende 1989 nichts anhaben kann. Konstantin ist überzeugter Anarchist, leistet seit seiner Jugend Widerstand gegen die kommunistische Repression und kämpft nach der Wende für eine späte Gerechtigkeit: dafür, dass das „Archiv der Staatssicherheit“ geöffnet wird, damit die ehemaligen Denunzianten und Agenten angeklagt werden können. Metodi, Generaloberst a. D., ist einer von ihnen, Konstantin kennt ihn seit seiner Zeit in diversen Lagern, die er während der 13-jährigen Haftstrafe durchwandert hat, als gnadenlosen, sadistischen Folterer und Peiniger.

Als die Erzählung (2007) einsetzt , ist das alles jedoch längst Vergangenheit. Konstantin und Metodi sind inzwischen alte Herren, doch ihre Vergangenheit lässt sie nicht los. Vor Metodis Villa steht eines Tages eine junge Frau, die behauptet, seine leibliche Tochter zu sein, das Resultat einer Vergewaltigung einer einstigen Lagerinsassin. Metodi kann sich zwar an sein Vergewaltigungsopfer nicht mehr erinnern, weiß aber, wie gefährlich ihm Nezabrawka und alles, was sie womöglich weiß, für seine politische Karriere und sein (kinderloses) Eheglück sein kann. Der einstige Ermittler ermittelt also wieder, diesmal in seiner eigenen Vergangenheit, undentdeckt, dass er die Forderung, Nezabrawkaals einzige Tochter in seinem Testament zu berücksichtigen, kaum ausschlagen kann, wodurch sein Ansehen nach seinem Tod freilich dahin wäre.

Konstantin dagegen muss sich bemühen, nicht ausschließlich in seinen quälenden Erinnerungen zu leben, die ihn nachts nicht schlafen lassen. Täglich brütet er über dem Aktenmaterial, das man ihm vom „Amt für Information und Archiv“ über seinen eigenen Fall nach mehreren Interventionen schließlich doch vorsetzt. Zu einer Anklage gegen Metodi kommt es am Ende aber nicht mehr: Metodi stirbt, und Konstantin bleibt nur noch, ihm beim Begräbnis seine Aufwartung zu machen und mit Megafon lauthals seine Strafe zu verkünden: die „schlimmste aller Höllen“, die „Verachtung der Nachfahren, für alle Zeit“, was Konstantin am Ende Genugtuung gibt: „Es hat sich gelohnt.“

„Gerechtigkeit“ widerfährt den Opfern im Roman also keine, das Ende klingt dennoch verstörend versöhnlich. Denn der Grundtenor des Romans ist ein völlig anderer: „Macht und Widerstand“ klagt an. Der Roman unterscheidet sorgfältig zwischen Tätern und Opfern, deren Rollen von Anfang an klar vergeben sind, er sucht nach der größtmöglichen Eindeutigkeit und möchte durch die schiere Materialfülle eine möglichst erdrückende Beweislast für jene Täter formulieren, die er anklagt.

Was Trojanow dagegen eher nicht interessiert haben dürfte, aber sehr interessant wäre: einerseits die Ursachen für den unstillbaren Machthunger zu erforschen und den nicht zu brechenden Willen zum Widerstand andererseits und so die beiden Begriffe in ihrem inneren Wesen zu ergründen, anstatt nur ihre äußere Manifestationen in einer Vielzahl von Handlungen darzustellen.

Von der Anlage her ist das interessant undspannend gedacht, literarisch ist es gewollt, wenn zwei Epochen beziehungsweise Zeitebenen lebendig werden sollen. Die beiden Hauptfiguren in „Macht und Widerstand“ erinnern sich in langen Monologen an ihren Lebensweg, vor allem Metodi redet quasi nur zu sich selbst. Eine konkrete äußere Handlung in dieser Gegenwartsebene gibt es kaum;was passiert, ist im Grunde nur Anlass dafür, den Strom der Erinnerung beider Figuren erneut in Gang zu setzen. Das postkommunistische Bulgarien bleibt dadurch vergleichsweise fahl. Und auch die Schrecknisse der Vergangenheit erlebt man als Leser nicht unmittelbar, weil die Figuren ja aus der Distanz der Erinnerung auf ihr Leben zurückblicken und auch hier vor allem Fakten referieren, sodass die Monologe eher nüchternen Erzählberichten als einem „echten“ monologischen Sinnieren und Reflektieren gleichen.

Zusätzlich Verwirrung stiften zwei weitere Erzählebenen, die Trojanow zwischen die Monologe setzt: Zum einen sind das Abdrucke von Originaldokumenten aus den Archiven, die das fiktive Geschehen faktisch unterfüttern sollen, zum anderen Kapitel, die Schlaglichter auf Lagerleben und politische Realität eines bestimmen Jahres werfen und die Fiktion atmosphärisch verstärken sollen. Insgesamt ergibt das aber ein Zuviel an miteinander konkurrierenden Erzählebenen, die sich allesamt in einer zu großen Detailfülle verlieren. „Macht und Widerstand“ hätte stofflich und thematisch zweifellos das Potenzial gehabt einzulösen, was der Titel an Größe verspricht, doch ist die Umsetzung leider nicht gelungen. Aus den 500Seiten und der Fülle an Recherchematerial wird am Ende kein überzeugender, großer Roman. ■

Ilija Trojanow

Macht und Widerstand

Roman. 480 S., geb., € 25,70 (Hanser
Verlag, München)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.12.2015)

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