Mindestsicherung: Sozialgeld boomt, Suche nach Ausweg

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Mit 427 Millionen Euro entfallen fast zwei Drittel der Kosten auf Wien. Die ÖVP drängt bei einem Treffen mit Minister Hundstorfer heute auf einen Zeitplan für Verschärfungen.

Wien. Die steigende Zahl an Beziehern einer Mindestsicherung belastet die Budgets von Ländern und Gemeinden. Für 2016 wird durch tausende Asylberechtigte ein weiterer Anstieg erwartet. Vor diesem Hintergrund kommt es heute, Dienstag, zu einem Koalitionstreffen, bei dem ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka mit Sozialsprecher August Wöginger von Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) einen Zeitplan für Reformen der Mindestsicherung verlangen wird.

1. Warum steigen die Kosten für die Mindestsicherung?

Die Zahl der Bezieher nimmt seit der Einführung 2010 stetig zu. Bisher wurde das vor allem auch auf Probleme am Arbeitsmarkt und die hohe Arbeitslosenrate zurückgeführt. Nach den jüngsten Daten bezogen 2014 mit 256.000 um 18.000 Menschen mehr als 2013 eine Mindestsicherung, die ehemalige Sozialhilfe. Das treibt Kosten, unter denen die Bundesländer leiden, in die Höhe. Im Vorjahr lag der Zuwachs bei zwölf Prozent, es waren insgesamt 673 Millionen Euro. Der Löwenanteil entfällt auf Wien: Mit 427 Millionen Euro waren es fast zwei Drittel der Gesamtkosten.

2. Was sind die Gründe für den hohen Anteil in Wien?

Die Stadt Wien und das Sozialministerium sehen als Grund den sogenannten Großstadtfaktor, wo Bezieher in der Regel weniger stigmatisiert sind. In Wien gibt es mit 141.000 die weitaus meisten Bezieher. Die ÖVP führt das auf zu lasche Kontrollen zurück. Dem hält Hundstorfer heuer allein in Wien bereits rund 6300 Sperren entgegen.

3. Wie hoch ist die Mindestsicherung und wie viel wird ausbezahlt?

Das Sozialgeld macht für Alleinstehende knapp 828 Euro netto im Monat aus, bei Paaren 1240 Euro. Pro Kind kommen länderweise unterschiedliche Zuschläge dazu. Tatsächlich wird häufig nicht der volle Betrag bezahlt, sondern der Differenzbetrag von einem geringen Einkommen (etwa Arbeitslosengeld) auf die Höchstsumme („Aufstocker“). Im Schnitt macht das laut Sozialministerium pro Haushalt 520 Euro im Monat.

4. Warum drängen besonders die ÖVP und von ihr geführte Bundesländer auf Reformen?

Die ÖVP möchte mit bundesweit einheitlichen Regeln auch ein Einbremsen der hohen Zahl an Beziehern im rot-grün geführten Wien erreichen. Manche Einschränkungen, wie die teilweise Umstellung von Geldleistungen auf Sachleistungen sind als Kann-Bestimmung möglich, daraus soll einheitlich eine Muss-Bestimmung werden. Hintergrund ist aber auch, dass für kommendes Jahr mit einem weiteren deutlichen Anstieg der Zahl der Bezieher erwartet wird, weil tausende Asylberechtigte Anspruch erhalten können. Allein das Land Niederösterreich rechnet damit, dass die Kosten für Asylberechtigte mit Mindestsicherung von 2014 auf 2015 von 6,6 auf 10,2 Millionen Euro hochschnellen.

5. Wie viele Asylberechtigte erhalten eine Mindestsicherung?

Derzeit gibt es bundesweit offiziell dazu keine genauen Zahlen. Anspruch haben Flüchtlinge mit Asylstatus (Asylberechtigte), nicht Asylwerber. Nach Schätzungen sind es bisher rund 15 Prozent aller Bezieher. Bei einer Enquete der ÖVP war jüngst davon die Rede, dass 2016 mit 50.000 Asylberechtigten gerechnet wird, von denen mangels Beschäftigung 40.000 in die Mindestsicherung fallen könnten.

6. Was sind die Hürden für eine Reform der Mindestsicherung?

In der Koalition gibt es Differenzen um die von der ÖVP angestrebten strengeren Regeln für Sanktionen und Kürzungen dieses Sozialgeldes für jene, die Arbeit verweigern. Minister Hundstorfer verweist hingegen auf 100.000 Jobvermittlungen seit 2011 und tausende bereits erfolgte Kürzungen. Die ÖVP möchte für Familien eine Gesamtobergrenze von 1500 Euro im Monat. Als Grund, warum Wiens SPÖ-Stadträtin Sonja Wehsely dies nicht abgelehnt hat, wird genannt, dass Wien davon speziell profitieren würde. In einem Arbeitskreis mit den Ländern werden heute, Dienstag, allerdings weniger mögliche Sanktionen, sondern Verbesserungen im Mittelpunkt stehen: beim bundesweiten Datenaustausch sowie bei positiven Anreizen, um Jobs anzunehmen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.12.2015)

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