Die Folterfabriken des Bashar al-Assad

Syrische Soldaten in Homs.
Syrische Soldaten in Homs.APA/AFP/LOUAI BESHARA
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Human Rights Watch hat einen neuen Bericht über die Gräuel des Assad-Sicherheitsapparats vorgestellt. Die Menschenrechtler sprachen mit Angehörigen und einstigen Zellengenossen der Opfer.

„Wenn die Toten reden könnten“ – 48 Stunden vor dem dritten internationalen Syriengipfel in New York will Human Rights Watch (HRW) mit seiner neuen Dokumentation den Opfern des syrischen Machthabers Bashar al-Assad eine Stimme geben. Jeder zu Tode Gequälte sei einmal ein geliebtes Kind, ein Ehemann, Vater oder Freund gewesen, nach dem Angehörige monate- oder jahrelang gesucht hätten, erklärte Nadim Houry, stellvertretender HRW-Direktor für den Nahen Osten, der den 86-seitigen Bericht über „Massentötung und Folter in syrischen Haftanstalten“ am Mittwoch in Moskau vorstellte. Denn Russland steht genauso wie der Iran fest an der Seite Assads.

Das ganze Ausmaß des Horrors kam vor zwei Jahren durch einen abtrünnigen Fotografen des Militärgeheimdienstes von Damaskus ans Tageslicht, der zwischen März 2011 und August 2013 rund 6780 Opfer aus Todeskerkern fotografierte und die Aufnahmen außer Landes schmuggelte. Zu sehen sind die Leichen von zu Skeletten abgemagerten Menschen. Getötete haben flächige, offene Wunden, ihre Oberkörper sind grün und blau geschlagen. Ein Opfer hat von Kopf bis Fuß Brandwunden. Andere wurden durch Kopfschuss getötet, erdrosselt oder mit Stromstößen hingerichtet. Die Fotos sind nach dem Urteil von HRW „ausreichende Beweise für Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ des syrischen Regimes.

Neun Monate lang dauerten die Recherchen der internationalen Menschenrechtler zu den Bildern. Es gelang, 27 der Todesopfer zu identifizieren, 33 Angehörige zu ermitteln, mit 37 ehemaligen Zellengenossen der Opfer sowie vier Überläufern der berüchtigten syrischen Staatssicherheit zu reden.

Getötet wegen Anti-Assad-Song

Ahmad al-Musalmani war 14 Jahre alt und auf dem Weg zur Beerdigung seiner Mutter, als im August 2012 an einer Straßensperre auf seinem Handy einen Anti-Assad-Song entdeckt wurde. Der weinende Junge musste aussteigen, während der Minibus mit den anderen Insassen weiterfahren durfte.

Noch im gleichen Monat starb Ahmad al-Musalmani, wie das Datum auf seinem Leichenfoto belegt, totgeschlagen von seinen Peinigern. Trotzdem wurden seinem Onkel durch dubiose Mittelsmänner aus dem Staatsapparat immer wieder Informationen gegen Geld angeboten. Zweieinhalb Jahre lang ging die Familie jedem Hinweis nach und zahlte insgesamt 16.000 Dollar, bis sie die schrecklich zugerichtete Leiche des Jugendlichen schließlich auf den Fotos des Überläufers entdeckten, die im März 2015 ins Internet gestellt worden waren. „Das war der Schock meines Lebens. Ich habe ihn 950 Tage lang gesucht, jeden Tag habe ich gezählt“, erklärte der verzweifelte Onkel, der heute in Jordanien lebt, den HRW-Rechercheuren.

Auch die einzige Frau unter den fotografierten Ermordeten, die Studentin Rehab al-Allawi, wurde im März 2015 von einem ihrer Cousins im Netz identifiziert. Die 25-Jährige arbeitete bei einer lokalen Aktivistengruppe, die in Damaskus Flüchtlingen aus Homs half. Im Jänner 2013 wurde sie verhaftet. 108.000 Dollar zahlten die Eltern an Militär und Geheimdienst, um ihre Tochter frei zu bekommen – vergeblich. Eine überlebende Mitgefangene erinnert sich daran, drei Wochen lang mit Rehab al-Allawi in einer Zelle der Filiale 215 der Staatssicherheit gesessen zu sein. Danach verlor sich Rehab al-Allawis Spur. Gestorben ist sie bereits im Juni 2013, drei Monate nach ihrer Festnahme, wie das Datum auf dem Leichenfoto zeigt.

HRW appellierte an die nach New York reisenden Syriendiplomaten, bei ihrem Treffen die Freilassung von tausenden politischer Gefangener und willkürlich Verhafteter zur Priorität zu machen. Iran und Russland als Verbündete Assads, „tragen eine besondere Verantwortung“, erklärte die Menschenrechtsorganisation.

("Presse"-Printausgabe, 17.12.2015)

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