Proteste im Iran: Zu allem bereit in Teheran

Iranische Sicherheitskraefte
Iranische Sicherheitskraefte(c) REUTERS (Stringer/iran)
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Das Regime setzt Gewalt ein, um die Protestbewegung niederzuschlagen. Doch die wütenden Menschen wollen nicht weichen. Am Samstag gingen wieder zehntausende auf die Straße. Ihr Führer, Mir Hossein Moussavi, ist zum Märtyrertod bereit.

Am Freitag um neun Uhr abends öffneten sich die Fenster und Menschen strömten auf die Dächer Teherans. Und so wie schon an den vergangenen sieben Tagen, erhob sich trotziger Gesang. Der gespenstische Ruf „Allahu Akbar!", gesungen von zehntausenden Stimmen, hallte durch die Stadt. Es war das Echo von 1979, als bei dem Aufstand gegen den Schah dieselbe Phrase einer Twitter-losen Gesellschaft zur Losung wurde.

Diesmal waren die Rufe aber weiter zu hören und lauter als zuvor. In einem Viertel rief eine rivalisierende Stimme: „Haltet den Mund. Der Führer hat gesagt, dass es jetzt genug ist." Der geistliche Führer des Landes, Ayatollah Ali Khamenei, hatte die Menschen zuvor aufgerufen, ihre Proteste zu beenden. Für einen Moment zögerten sie, dann begannen die Gesänge von Neuem.

Am Samstag steigerten die Demonstranten ihre Missachtung von Khamenei um noch eine Stufe. Tausende Anhänger von Oppositionsführer Mir Hossein Moussavi, der bei den umstrittenen Präsidentenwahlen im Iran nach Amtsinhaber Mahmoud Ahmadinejad offiziell zweiter wurde, versammelten sich wieder auf den Straßen. Sie wurden von Wasserwerfern, Tränengas und Warnschüssen begrüßt.

Khameneis Fehdehandschuh

Khamenei hatte beim Freitagsgebet gesagt, dass die Oppositionsführer für die ganze Gewalt, das Blutvergießen und die Plünderungen verantwortlich gemacht werden, wenn sie ihre Anhänger weiter zu Demonstrieren ermuntern. Es war eine klare Warnung an Moussavi und seine Unterstützer.
Es müsse an der Urne entschieden werden, was die Menschen wollen und was sie nicht wollen, und nicht auf der Straße, sagte ein finster drein blickender Khamenei den Tausenden, die sich zum wöchentlichen Freitagsgebet an der Universität Teherans versammelt hatten. „Ich rufe alle auf, diese Methoden zu beenden". Er hatte den Fehdehandschuh geworfen.

Und er meinte es ernst. Das war am Samstag beim Polizeieinsatz gegen die Demonstranten sichtbar, die zu Zehntausenden gekommen waren, wenn nicht sogar zu Millionen. Die Entschlossenheit des Volkes scheint ungemindert. Die Menschen sind bereit, bei den Protesten ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Die Islamische Republik Iran durchläuft die schwerste Krise in ihrer 30-jährigen Geschichte.

Woher schöpfen so viele gewöhnliche Bürger den Mut, nicht nur nach Jahren der Angst den Mund aufzumachen, sondern auf den Straßen in einer Anzahl zu erscheinen, wie man es seit dem Sturz des Schahs durch Ayatollah Khomeini im Jahr 1979 nicht mehr gesehen hat? Wohin führt all das? Sind die Ereignisse vom gestrigen Samstag ein Vorzeichen einer brutalen Niederschlagung oder nur eine Pause in der außergewöhnlichen Zurschaustellung der Macht des Volkes?

Proteste in Teheran

(c) Reuters

Artemis, eine 41-jährige Frau aus Teheran, ist stolze Absolventin eines Jus-Studiums. Arbeiten durfte sie in diesem Bereich bisher freilich nicht. Für sie ist klar, warum sie seit Donnerstag mit mehr als einer Million Männer, Frauen und Kinder in Teheran auf die Straße geht. „Die Menschen wollen Freiheit und Gerechtigkeit", sagte sie. „Sie haben die Wahl gestohlen. Niemand, der richtig im Kopf ist, glaubt dieses Ergebnis."

Früher habe sie Angst gehabt, Kritik zu üben, erklärte sie. „Die Nachbarn belauschen dich und Menschen kommen ins Gefängnis für das, was sie sagen oder was sie tun. Das ist ansteckend. Was man hier sieht, alle diese Menschen, das ist das Resultat von 30 Jahren Unterdrückung. Und jetzt haben wir genug."

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Von ihrem Treffpunkt am Platz der Revolution marschierten sie meilenweit bis zum Platz der Freiheit, Schulter an Schulter, den gesamten Boulevard und die Gehsteige füllend.
Niemand glaubte das Wahlergebnis, das Amtsinhaber Ahmadinejad mehr als 60 Prozent der Stimmen zuschrieb - trotz eines prognostizierten Kopf-an-Kopf-Rennens. Und das Gefühl, betrogen worden zu sein und der Zorn wurden greifbar. „Wo ist meine Stimme?" fragten sie auf ihren hochgereckten Plakaten. Die Menschen marschierten entschlossen, ermutigt von ihren Sinn für Unrecht.

(c) Reuters

Sprechchöre wie „Nieder mit dem Diktator!" und „Tod den Taliban in Kabul und Teheran" schallten wie Echos der Parole von 1979 - „Tod dem Schah!" - durch die Straßen. Grüne Bänder, Banner und Armbänder schmückten die Demonstranten.
Moussavis Unterstützer wurden von den Systemtreuen anfangs verlacht. Sie seien lediglich ein junges, reiches Häufchen aus den nördlichen, schattigen Stadtteilen Teherans. Am vergangenen Montag aber konnte man auf Teherans Straßen Jung und Alt gemeinsam demonstrieren sehen, junge Frauen in Designermode Seite an Seite mit Arbeitern in abgetragenen Hosen und Beamten in Anzügen.

Eine junge Frau mit Burberry-Schal und dazu passender Handtasche marschierte Hand in Hand mit einem alten Mann und seiner Frau auf der anderen Seite in gemeinsamer Verwunderung über ihre eigene Zivilcourage. Ein Anzugträger mittleren Alters marschierte mit seiner Aktentasche neben ihnen, seinen Kopf mit schütter werdendem grauen Haar stolz nach oben gereckt.

„Sehen sie sich all diese Weißhaarigen an", sagte Siamak, ein 28-jähriger Maschinenbauer. „Ganz Teheran ist hier. Ich denke, Khamenei wird heute nicht schlafen." Stundenlang defilierten sie gemeinsam die Hauptstraße auf und ab.

"Wir sind die Mehrheit"

„Früher hatte ich Angst, überhaupt zu sprechen. Ich dachte, wir seien eine kleine Minderheit", erklärte die 24-jährige Software-Designerin Mona. Dabei trug sie eine der bei Teherans modebewussten jungen Frauen so beliebte überdimensionale Sonnenbrille und einen engen, roten Manteau genannten Übermantel. Ein Zugeständnis an das Gesetz, wonach Frauen in der Öffentlichkeit ihren Kopf und ihren Körper bedecken müssen. „Aber jetzt weiß ich, dass wir die Mehrheit sind. Ich habe keine Angst mehr. Für mich ist die Zeit der Angst vorbei."

(c) Reuters

An diesem Nachmittag hatte Moussavi seinen ersten Auftritt auf dem Platz der Freiheit. Zum ersten Mal seit er in den frühen Stunden des vorletzten Samstag erfahren hatte, dass Ahmadinejad die Präsidentenwahl gewonnen hatte, trat er an die Öffentlichkeit. Während der Kampagne war er eine graue Figur ohne Charisma gewesen. In den Umfragen hatte ihn meist seine Frau, Zahra Rahnavard, eine Gelehrte und Künstlerin mit einem verschlagenen Humor, nach vorne gebracht. Sie gab den Ton vor und führte ihn durch den Wahlkampf.

So wurde Moussavi bei der jüngeren Generation beliebt. Nun stand er am Freiheits-Platz auf dem Dach eines Autos, in einem blau-weiß gestreiften Hemd und rief durch einen Lautsprecher ins eine Hand zum Widerstand auf. „Wir wollen Respekt. Wir fordern unsere Rechte zurück", rief er der jubelnden Menge zu. „Wir kämpfen weiter."

Parallelen zu 1979

Diese Nacht sollte Teheran eine Tragödie erlebten. Als die Proteste langsam abebbten, gingen die jungen Menschen in den dunklen Straßen nach Hause. Die Polizei und die Basij-Milizen hatten sich angesichts der demonstrierenden Menschenmassen während des Tages verflüchtigt, aber die Nacht sollte ihnen gehören.

Während der Demonstrationen am Donnerstag sah ich eine Gruppe von Männern und Frauen, die über einen Basij herfielen, der ein Moussavi-Poster herunterreißen wollte. Sie schlugen und traten ihn während andere schrien: „Lasst den Basij in Ruhe!" Er durfte schließlich davonhumpeln.

Das Regime wird die Parallelen von 1979 nicht übersehen haben - und auch Moussavi nicht, der von 1981 bis 1989 Premierminister unter Ayatollah Khomeini war. Denn die Proteste schaukelten sich damals in einer tragischen Spirale von Todesopfern und Begräbnissen auf.

Nun schien sich diese Spirale zu wiederholen. Als bekannt wurde, dass immer mehr Opfer zu beklagen waren, wuchs auch die Wut. Spontan entstanden auch kleine Gedenkstätten auf den Straßen, die an die Opfer erinnern sollten. Bei den Protesten am Donnerstag war die Stimmung auf einmal anders. Bisher waren die Demonstrationszüge laut und bunt. Doch nun wurden Schweigemärsche im Gedenken an die Opfer abgehalten, alle hielten sich zurück, um der Staatsmacht keinen Vorwand zum harten Durchgreifen zu liefern. Jeder, der versuchte, einen Slogan wie „Weg mit dem Diktator!" anzustimmen, bekam als Antwort: „Pssst!" zu hören.

Ganz in Schwarz

Die Frauen gingen nun in gedeckten Farben zu den Demonstrationen. Die meisten trugen dunkle Kopftücher. Einer der Demonstranten meinte, die Farbe Schwarz habe bald ihre psychologische Wirkung auf die Marschierer entfaltet. „Schwarz verändert die Stimmung", sagte er. Die Menschen bereiten sich auf härtere Konfrontationen vor.
So sehr die Millionen von Menschen, die vergangene Woche auf die Straße gingen, wirkten, als verrichteten sie das Geschäft der Revolution, dieser Eindruck täuschte. Ihnen ging es nicht um einen Sturz der Regierung. Sie durften deshalb weitermachen, weil sie die Akteure in einem Ringen um die Zukunft der islamischen Republik waren, nicht Umstürzler. Hinter den Kulissen tobte ein wilder politischer Kampf, der mindestens ebenso großen Einfluss auf die Zukunft des Iran hat, wie der Kampf des gespaltenen Volkes.

Khamenei, der als Oberster Führer fast unumschränkte Macht hat und sowohl die Streitkräfte als auch die Außenpolitik kontrolliert, hat seine traditionelle Rolle abgestreift. Er schwebte auf einmal nicht mehr über den Lagern, sondern ergriff offen Partei für Ahmadinejad. Auf der anderen Seite wird Moussavi von Hashemi Rafsanjani unterstützt, dem wohlhabenden ehemaligen Präsidenten, der als der zweitmächtigste Mann im Iran gilt.

Die Ereignisse vom Samstag werden zu einer weiteren Polarisierung führen. Dass Oppositionelle ein Gebäude in Brand setzten, das Anhänger Ahmadinejads benützen, wird die Loyalisten des Regimes mobilisieren.

Auf einem der Plakate, das Basij-Milizionäre und Anhänger Ahmadinejads am Freitag nach dem Gebet hochhielten, war zu lesen: „Oh Führer, zeig uns die Richtung und wird werden dir folgen". Das lässt vermuten, dass sie alle Befehle der Behörden bedingungslos befolgen werden. Es gibt jedoch Zweifel, ob die Revolutionsgarden auf die Demonstranten schießen werden. Sie haben den ultimativen Auftrag, die Revolution zu verteidigen, nicht den Obersten Führer. Es gibt Gardisten, die Rafsanjani ergeben sind. „Ich werde nicht auf diese Leute schießen", sagte ein junger Offizier der Revolutionsgarde, als er vergangene Woche die Massen an sich vorbeiziehen sah. „Vielleicht werden das ein paar von uns tun, aber ich werde es nicht tun."

Die Demonstranten hatten ihren Obersten Führer offen missachtet, was noch in den vergangen Wochen undenkbar gewesen wäre. Gestern tauchte sogar Filmmaterial auf, auf dem Menschen zu sehen sind, die schreien: „Tod Khamenei!" riefen.

Bis zum Tod

Moussavi selbst hat gestern den Einsatz erhöht, als er in einem Brief die Annullierung des Wahlergebnisses forderte. „Wir werden nur Neuwahlen akzeptieren", sagte ein Berater Moussavis. „Wir haben den Auftrag von den Menschen auf der Straße." Und weiter: „Moussavi selbst sagte mir, dass er ein gutes Leben gehabt habe, das jetzt zu einem Ende kommt. Er ist bereit, bis zum Tod für Gerechtigkeit bei dieser Wahl zu kämpfen."

(Die Presse, Printausgabe, 21.6. 2009)

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