"Presse"-Krimikritiker Peter Huber hat aus der Flut der Neuerscheinungen zehn außergewöhnliche Kriminalromane ausgewählt.
30.12.2016 um 16:55
"Die Presse"-Krimikritiker Peter Huber stellt die zehn besten Krimis und Thriller vor, die 2015 (auf Deutsch) erschienen sind. Der Brite Philip Kerr wurde im deutschsprachigen Raum Anfang der 1990er-Jahre mit seiner "Berlin Noir"-Trilogie rund um den in Nazi-Deutschland ermittelnden Detektiv Bernie Gunther bekannt. Danach verfasste er unter anderem Wissenschaftsthriller, ehe er Mitte der Nuller jahre weitere Gunther-Bände vorlegte. Nun hat er wieder das Terrain gewechselt und mit "Der Wintertransfer" seinen ersten Fußball-Thriller geschrieben. Bissig und bitterböse prangert er die Kommerzialisierung des Sports an. Er beweist sich damit als einer der vielseitigsten Autoren des Genres. Philip Kerr: "Der Wintertransfer", übersetzt von: Axel Merz, Tropen Verlag, 425 Seiten, 15,40 Euro.
(c) Tropen Verlag
Mit seinem im Vorjahr auch auf Deutsch erschienenen Debüt, "Spademan", wusste Adam Sternbergh nur stellenweise zu überzeugen. Zu pseudomoralisch und konventionell las sich sein Buch. Mit "Feindesland" scheint der Autor nun seine Sprache gefunden zu haben. Das düstere Setting fasziniert: Immer noch fliehen die Menschen New Yorks aus der Realität und klinken sich, in Betten liegend, in die Limnosphäre ein. Nun scheint aber auch diese virtuelle Zufluchtsstätte bedroht. Spademan, eigentlich ein Auftragskiller, beginnt zu ermitteln. Kurzweilige Krimikost. Adam Sternbergh: "Feindesland", übersetzt von Alexander Wagner, Heyne Hardcore, 365 S., 15,50 Euro.
(c) Heyne Verlag
Clementine Skorpil, Literaturkritikerin und Lektorin bei der „Presse“, hat mit "Guter Mohn, du schenkst mir Träume" einen Krimi geschrieben, der verzaubert. Der Leser taucht in das faszinierende Shanghai der 1920er-Jahre ein. Der Leser sieht die Stadt nicht von außen, sondern aus der Sicht eines Chinesen – das ist wohl die größte Leistung dieses Romans. Gekonnt verwebt sie die Handlung ihres Kriminalromans mit historischen Ereignissen. Sie beschreibt das Aufkommen des Kommunismus in China und lässt auch den späteren politischen Führer Mao Tse-tung als Randfigur auftreten. Clementine Skorpil: „Guter Mohn, du schenkst mir Träume“, Löcker-Verlag, 287 Seiten, 19,80 Euro.
(c) Löcker Verlag
Der nordirische Krimiautor Adrian McKinty zählt momentan zu den besten des Genres. Das beweist er mit "Die verlorenen Schwestern", dem dritten Teil seiner Sean-Duffy-Serie, eindrucksvoll. Wieder entführt er die Leser in das Nordirland während der Unruhen in den 1980er-Jahren. War der Vorgänger "Die Sirenen von Belfast" auch so etwas wie ein Reiseführer durch die Pop-Geschichte, wendet sich McKinty nun enttäuscht vom Musikjahr 1983 ab. Stattdessen greift er auf das Stilelement des verschlossenen Raums zurück. Eine Frau starb darin: Eigentlich kann es nur ein Unfall gewesen sein - oder nicht? Der Autor variiert das klassische Thema gekonnt. Adrian McKinty: "Die verlorenen Schwestern", übersetzt v. Peter Torberg, Suhrkamp Nova, 378 S., 15,50 Euro.
(c) Suhrkamp Verlag
Antonio Ortuño schildert in seinem schonungslosen und verstörenden Buch "Die Verbrannten" das Schicksal hunderttausender Zentralamerikaner im Flüchtlings-Transitland Mexiko. Immer wieder stellt er den an Tragik kaum zu überbietenden Geschehnissen die floskelhaften und nichtssagenden Presseaussendungen der Nationalkommission für Migration gegenüber. Das ist Kriminalliteratur die weh tut - im besten Sinne. Antonio Ortuño: "Die Verbrannten", übersetzt von Nora Haller, Antje Kunstmann Verlag, 256 Seiten, 20,60 Euro.
(c) Antje Kunstmann Verlag
Der Krimi "Sturm über New Orleans" verleiht all den stummen Opfern der hausgemachten Flutkatastrophe vor zehn Jahren eine Stimme. Nun hat auch der kleine Pendragon-Verlag die Gunst der Stunde genutzt und Burkes legendären Ermittler David Robicheaux, einen der bekanntesten der modernen US-Kriminalliteratur, wiederauferstehen lassen. "Sturm über New Orleans" ist im Original bereits 2007 erschienen und bietet eine beeindruckende Geschichtsstunde. Der Autor macht begreifbar, wie Moral und Anstand auch in der Stunde größten Elends überleben können - oder eben nicht. James Lee Burke: "Sturm über New Orleans", übersetzt von Georg Schmidt Pendragon-Verlag, 576 Seiten, 18,50 Euro.
(c) Pendragon Verlag
Merle Krögers Mittelmeerdrama "Havarie" ist kein klassischer Kriminalroman, sondern vor allem eine präzise Bestandsaufnahme der aktuellen Situation vor den Küsten Europas. Das Buch wurde auf Platz 1 der KrimiZeit-Jahresliste gewählt. Dass die Wahrheit nicht so einfach ist, beweist die deutsche Autorin Merle Kröger in ihrem vielschichtigen politischen Kriminalroman "Havarie" eindrucksvoll. Sie porträtiert das Mittelmeer dabei nicht als traumhaftes Ferienparadies, sondern als Burggraben der Festung Europas, in dem täglich Menschen sterben. Merle Kröger: "Havarie" Ariadne Kriminalroman, 228 Seiten, 15,50 Euro.
(c) Ariadne Kriminalroman
In "Abbey Road Murder Song" ließ William Shaw erstmals Cathal Breen und Helen Tozer, eines der charmantesten Duos der modernen Kriminalliteratur, im London der 1960er-Jahre ermitteln. In "Kings of London" wird nun in einem abgebrannten Haus die Leiche eines Mannes gefunden. Schon bald stellt sich heraus, dass es sich um den Sohn eines einflussreichen Politikers handelt. Breen und Tozer begeben sich wieder auf die Suche nach der Wahrheit. Shaw überzeugt durch die Zeichnung lebensechter Figuren. Zudem erfährt der Leser viel über zeitgeistige Phänomene, die auch heute wieder aktuell sind. William Shaw: "Kings of London", übersetzt von Conny Lösch, Suhrkamp Nova, 473 Seiten, 15,50 Euro.
(c) Suhrkamp Verlag
"In der Nacht" rund um Unterweltler Jack Coughlin war einer der besten Krimis des Jahres 2013. Mit der Fortsetzung "Am Ende einer Welt" ist Dennis Lehane nun Gleichwertiges gelungen. Spielte der Vorgänger während der Prohibitionszeit in ihren Endzügen, hat der US-Autor die Handlung nun ins Jahr 1943 verlegt. Coughlin hat sich nach dem tragischen Tod seiner Frau aus der ersten Reihe der Mafia zurückgezogen, zieht aber immer noch im Hintergrund die Fäden. Dennoch scheint ihm jemand nach dem Leben zu trachten. Lehane beweist sich erneut als Meister des historischen Gangsterkrimis. Dennis Lehane: "Am Ende einer Welt", übersetzt von Steffen Jacobs, Diogenes Verlag, 394 Seiten, 24,70 Euro.
(c) Diogenes Verlag
"The Wire"-Miterfinder Richard Price zeigt sich wieder von seiner besten Seite. "Die Unantastbaren" ist ein fesselndes Stück Kriminalliteratur, das abseits jeglicher Banalität eine großartige Geschichte über das Menschsein erzählt. Im Zentrum seines aus Polizistensicht geschilderten Buchs stehen die Themen Anständigkeit, Loyalität und Freundschaft angesichts des Versagens von Gerechtigkeit. Die zentrale Frage: Wie weit bin ich bereit zu gehen, wenn Mörder weiterhin ihr Unwesen treiben können, weil sie dem juristischen System ausgekommen sind? Richard Price: "Die Unantastbaren", übersetzt von Miriam Mandelkow, S. Fischer, 432 Seiten, 25,70 Euro.Zum Krimiblog "crimenoir" von Peter Huber.
(c) S. Fischer Verlag
Top 10: Die besten Krimis 2015
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