Polen will kein Durchgriffsrecht auf seinen nationalen Grenzschutz. Aber der Großteil der EU-Länder dürfte dafür sein.
Brüssel. EU-Ratspräsident Donald Tusk sprach am Donnerstag von einer „schmerzhaften Entscheidung“, die aber für den Erhalt des Schengen-Abkommens notwendig sei. Der Vorschlag der EU-Kommission, eine gemeinsame Grenzschutztruppe von bis zu 1500Sicherheitskräften aufzustellen und diese auch gegen den Willen einzelner Länder an die Außengrenze zu schicken, hatte vorerst mehrere Länder auf den Plan gerufen. Ein klares Nein kommt noch immer von Polen. Auch Spanien und Litauen sind skeptisch. Aber die Mehrheit der Mitgliedstaaten dürfte hinter dem Vorstoß von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker stehen.
Tusk warnte denn auch vor Beginn des Gipfels: „Falls wir die Kommissionsvorschläge zurückweisen, müssen wir andere Lösungen finden. Aber die werden leider genauso schmerzhaft sein.“ Deutschlands Bundeskanzlerin, Angela Merkel, warb in Brüssel für den gemeinsamen Schutz der Außengrenze. Dieser greife zwar in die nationale Souveränität ein, räumte die Kanzlerin ein. Aber die Debatte sei ermutigend. „Ich werde mich dafür einsetzen, dass die Vorschläge möglichst rasch beraten und verabschiedet werden.“
Die Front der osteuropäische Länder, die sich einst gemeinsam gegen eine Aufteilung von Flüchtlingen gestellt hat, ist in dieser Frage brüchig. Tschechiens Premier, Bohuslav Sobotka, begrüßt den Vorstoß und erklärte: „Wir müssen die Gelegenheit nutzen, um beim bevorstehenden EU-Gipfel eine gute Grundlage für Schengen sicherzustellen.“ Ganz anders äußerte sich die litauische Staatspräsidentin und frühere EU-Kommissarin Dalia Grybauskaitė. Sie forderte, dass der Einsatz von europäischen Grenzschützern nur mit Zustimmung oder auf Anfrage des betreffenden Mitgliedstaats erfolgen dürfe.
Die EU-Kommission will mit ihrem Vorschlag vor allem verhindern, dass künftig Zuwanderer ohne Registrierung in den Schengen-Raum einwandern. Ein wirksamer Schutz der EU-Außengrenze sei unabdingbar, damit die Reisefreiheit im Schengen-Raum nicht infrage gestellt werde, argumentierte der Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans. Brüssel plant auch eigene Rückführungsstellen an den Außengrenzen, die abgewiesene Personen selbstständig abschieben können. (ag.)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.12.2015)