Firmen-Shopping als Hoffnung für Japan

Akira Amari
Akira Amari(c) APA/AFP/YOSHIKAZU TSUNO
  • Drucken

Die japanischen Unternehmen sitzen auf viel Geld. Damit kaufen sie weltweit Konkurrenten. Die Politik hofft, dass dies auch zu Hause für Wachstum sorgt.

Tokio. Dem Mann gehen langsam die Erklärungen aus. Neben den zurückhaltenden Käufern im Ausland und der schwachen Binnennachfrage sei auch das Wetter schuld gewesen, sagte Wirtschaftsminister Akira Amari. Hätte im Frühling häufiger die Sonne geschienen, wäre Japans Wirtschaftsleistung im zweiten Quartal nicht geschrumpft. Dann hätte die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt zu Jahresende auch nicht bloß um ein Haar eine neue Rezession vermieden, sondern wäre auf einem viel besseren Weg.

Wie konnte das passieren? Da doch die Regierung ihre berühmt gewordene Wirtschaftspolitik Abenomics betreibt, benannt nach Premierminister Shinzō Abe: eine Kombination aus üppigen Ausgabeprogrammen, einer sehr lockeren Geldpolitik und dem Versprechen auf wachstumsorientierte Strukturreformen. Kaum war Abe im Amt, drängte er die offiziell unabhängige Zentralbank, deren Leitzins schon seit der Jahrtausendwende an der Nulllinie lag, zu noch mehr Käufen von Staatsanleihen. So wollte er Inflation und Wachstum erzwingen.

Mittlerweile kauft die Notenbank jährlich Schuldpapiere für 80 Billionen Yen (601 Mrd. Euro). Die Bilanzsumme hat sich auf die Hälfte der Wirtschaftsleistung aufgebläht. Erst diesen Freitag hat die Notenbank noch einmal überraschend nachgeladen: Sie hat die Laufzeit für kauffähige Staatsanleihen von maximal zehn auf bis zu zwölf Jahre verlängert. Und die Regierung hat einen „Sonderhaushalt“ beschlossen, für Leistungen an Pensionisten und Bauern. Von Anfang an setzte Abe auf riesige, auf Pump finanzierte Konjunkturpakete, obwohl Japan schon mit mehr als dem Doppelten der jährlichen Wirtschaftsleistung verschuldet war.

(c) Die Presse

Die Politik verhalf auch tatsächlich zu einem kurzen Aufschwung, der aber bald wieder in eine Rezession abdriftete. Die wachstumsfördernden Strukturreformen sind weitgehend ausgeblieben. Der Konsum dümpelt wegen des schwachen Arbeitsmarktes vor sich hin, die Staatsverschuldung erhöht sich immer weiter, die Deflationsgefahr ist noch immer nicht ganz vom Tisch. Dagegen hat der Tokioter Aktienleitindex Nikkei 225 die besten Werte seit Jahren erreicht, und die Exportwirtschaft lebt auf. Was nun?

Zu Hause investieren lohnt nicht

Es ist der Unternehmenssektor, auf den Abe mit seiner Wachstumsstrategie die größte Hoffnung setzt. Und er könnte seine letzte Rettung sein. Die Firmen investieren freilich kaum im Inland: Weil die Wirtschaft stagniert, lohnt es sich für sie nicht, die Kapazitäten zu erweitern. Reine Finanzanlagen werfen fast keine Zinsen ab. Also gehen die Konzerne wieder einmal auf Shoppingtour – ähnlich wie in den 1980er-Jahren, als japanische Unternehmen vor dem Platzen der riesigen Spekulationsblase 1990 diverse Konkurrenten im Ausland schluckten.

Die wohl größten Schlagzeilen machte im Sommer die „Nihon Keizai Shimbun“, kurz: „Nikkei“. Die mit einer Auflage von drei Millionen größte Wirtschaftstageszeitung der Welt hatte kurzerhand die Londoner „Financial Times“ geschluckt, ihresgleichen die wohl weltweit bekannteste Wirtschaftstageszeitung. Der Kaufpreis von 160 Mrd. Yen (rund 1,18 Mrd. Euro) schien dabei nicht nur großzügig für die „Financial Times“, sondern auch ein teurer Spaß für „Nikkei“: Der Preis entspricht dem 16-Fachen des Nettogewinns vom Vorjahr. Bei Nikkei aber sagt man sich: Wir haben mehr als genug Geld auf der hohen Kante. Aber wenn wir es endlich investieren, dann nur im Ausland.

Denn in keinem Land der Welt ist die Gesellschaft derart stark gealtert wie in Japan. Schon heute ist jeder vierte Japaner 65 Jahre oder älter. Im Jahr 2050 werden es fast 40 Prozent sein. Der Anteil derer, die nicht mehr arbeiten und Geld verdienen, sondern von ihren Ersparnissen leben, wächst seit Jahren in hohem Tempo. 2008 erreichte die Arbeitsbevölkerung mit 67 Mio. Menschen ihren Höhepunkt, heute sind es 1,5 Mio. weniger. Auch insgesamt schrumpft die Bevölkerung seit einigen Jahren, sodass Unternehmen in Japan zwar eine kaufkräftige Klientel, aber einfach keinen Wachstumsmarkt mehr sehen. Eine Expansion ins Ausland ist der einfache Ausweg – mit den angesammelten Rücklagen oder auch, dank Abenomics, mit Krediten zu sehr niedrigen Zinsen.

So decken sich auch Japans Versicherer ein. Sie kämpfen nicht nur mit einer schrumpfenden Bevölkerung, sondern auch mit allgemeiner Zurückhaltung bei mutigen Geschäften. In Japan gründet man kaum neue Unternehmen. Und auch sonst werden weniger riskante Projekte gestartet, mit denen ein Versicherungsabschluss einhergehen würde. Durch Abenomics kann sich die Branche aber anderswo orientieren.

Im September gab etwa der Konzern Sumitomo Mitsui Insurance bekannt, den britischen Konkurrenten Amlin für rund 3,5 Mrd. Pfund zu schlucken, um sein Auslandsgeschäft zu stärken. Japans führender Anbieter für Schadens- und Unfallversicherungen war an Amlin interessiert, da das britische Unternehmen nicht nur stark auf dem britischen Markt ist, sondern zuletzt auch nach Lateinamerika expandierte. Sumitomo Mitsuis Auslandsgeschäfte waren bisher auf den asiatischen Kontinent begrenzt. Und die globale Expansion lässt man sich einiges kosten: Der Preis ist übersteigt das Nettoanlagevermögen von Amlin um das 2,4-Fache.

Kurz zuvor hat der konzernverwandte Lebensversicherer Sumitomo Life den US-amerikanischen Konkurrenten Symetra gekauft, für 3,5 Mrd. Dollar. Schon ein Jahr davor übernahm auch Dai-ichi Life Insurance einen Wettbewerber aus den USA: Für 582 Mrd Yen (4,2 Mrd. Euro) ist Protective Life seitdem in japanischer Hand. Weil der US-amerikanische Markt wächst und derzeit einen weltweiten Anteil von gut einem Fünftel ausmacht, werfen japanische Unternehmen schon länger ein Auge auf die dortige Konkurrenz. Auch Meiji Yasuda Life, ein weiterer großer Versicherer, hat in den USA eingekauft. Darüber hinaus hat sich das Unternehmen zuletzt bei Talanx beteiligt, dem drittgrößten Versicherer Deutschlands, der zuletzt nach Osteuropa drängte. Die Liste solcher Käufe ist lang. Mittlerweile investiert sogar Japans Pensionsfonds, der größte staatliche Anlagefonds weltweit, die Hälfte seiner Anlagesumme in in- und ausländische Aktien. Einmal sprang dabei in den vergangenen Monaten ein Verlust heraus, einmal eine Rendite von zwölf Prozent. Da es dabei um die Pensionen der meisten Japaner geht, wird der Schritt als zu riskant kritisiert. Andererseits, pochen Befürworter, sind die Zinsen auf Anleihen so gering, dass sich daraus wenig machen lasse. Die Aktienmärkte seien zumindest derzeit stark, die Pensionen könnten jedenfalls finanziert werden.

Mehr Gewinne, höhere Löhne

Japans mächtiger Wirtschaftsverband, Nippon Keidanren, hat Shinzō Abes Wirtschaftspolitik ausdrücklich unterstützt. Er macht auch Stimmung für die weltweiten Akquisitionen. Nur auf diese Weise, heißt es aus den Chefetagen, könnte man der japanischen Wirtschaft zu neuerlichem Wachstum verhelfen. Es ist das klassische Trickle-down-Argument: Durch höhere Gewinne soll es in der Folge höhere Löhne, bessere Jobs und mehr privaten Konsum geben. Schließlich ist in den vergangenen 20 Jahren der Anteil derer, die sich in prekären Arbeitsverhältnissen verdingen, auf ein Drittel der Arbeitsbevölkerung angeschwollen. Auf einen Umschwung warten freilich viele seit Langem.

Shinzō Abe hat die Betriebe bisher eher halbherzig dazu ermutigt, höhere Löhne auszuzahlen und mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Man müsse auf den richtigen Zeitpunkt warten, lassen wiederum die Arbeitgeber verlauten. Die gute Nachricht der japanischen Shoppingtour: In Japan gibt es Geld, das ausgegeben werden soll. Ökonomen warnen schon vor einer neuerlichen Blase.

Nach der waghalsigen Politik der japanischen Regierung hat es auch der Unternehmenssektor in der Hand, das zu vermeiden: mit Investitionen in die Realwirtschaft, nicht nur im Ausland, sondern auch in Japan.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.12.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Tunnel
Leitartikel

Es gibt auch Licht mitten im Tunnel

Zeitunglesen und Zeitungmachen sind in Krisenzeiten nicht immer nur ein Vergnügen. Ein ausgiebiger Blick auf das, was dennoch gelingt, lohnt doppelt.
Themenbild
Außenpolitik

Was die Welt ein bisschen besser gemacht hat

Die Öffentlichkeit steht im Bann permanenter Krisenberichterstattung. Kriege, Konflikte und Gewalt bestimmen die Schlagzeilen. Doch es gibt auch positive Nachrichten: Die Armut sinkt, der Kampf gegen die schlimmsten Krankheiten zeitigt Erfolge, und die Welt hat endlich ein Klimaabkommen. Ein Überblick.
Kinder
Innenpolitik

Mehr Kinder für Österreicherinnen

Die Zahl der Kinder pro Frau steigt und ist so hoch wie vor 20 Jahren. Zuwanderer sind wider Erwarten nur zum Teil dafür verantwortlich.
FRANCE
Europa

Die erwachte europäische Öffentlichkeit

Plötzlich kennt jeder die Regierung in Athen, bangt mit Paris und streitet über Merkel.
MIDEAST ISRAEL PALESTINIANS CONFLICT
Außenpolitik

„Die Gewalt lässt uns nur stärker zusammenwachsen“

In Jad Bejad findet der Unterricht zweisprachig statt: auf Hebräisch und Arabisch. Immer wieder greifen Radikale die bilinguale Schule in Jerusalem an. Doch die jüdischen und palästinensischen Kinder halten nach solchen Attacken noch mehr zusammen.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.