Kolumbien - eine ungewöhnliche Versöhnung nach fünf Jahrzehnten Krieg.
38 Jahre alt ist Héctor Pérez, und 26 davon ist er bei der Guerilla. Er kannte nichts als Krieg, aber nun muss er, auf Befehl seiner Kommandeure, den Frieden vorbereiten. Gemeinsam mit Männern, die Jahrzehnte lang seine Feinde waren.
In El Orejón, einer Streusiedlung in den grünen Bergen des kolumbianischen Departements Antioquia, hat ein Experiment begonnen, das den Weg weisen könnte zum Frieden nach mehr als 50 Jahren Krieg. In dem Kaffeeanbaugebiet arbeitet das erste gemeinsame Kommando, das Minen räumt, die der Krieg in gigantischen Mengen in den meisten Landstrichen hinterließ. Vor allem in jenen von strategischer Bedeutung: wie dem von Alto Capitán. Dessen runde Kuppe ist die höchste Erhebung der Gegend, einst ein Aussichtspunkt, wo Hochzeiten gefeiert wurden und Liebespaare romantisch die Sonne untergehen ließen.
Doch dann kam der Konflikt, und alle bewaffneten Gruppen – Armee, Guerilla und Paramilitärs – wollten den Alto Capitán beherrschen, den strategischen Punkt. Am längsten hielten die marxistischen Farc-Guerillas die Höhe, die sie mit vielen Minen sicherten, jenen hinterhältigen Billigwaffen, die in den letzten 15 Jahren mehr als 11.000 Kolumbianer töteten oder verstümmelten. Insgesamt sollen zwei Millionen Minen im Land verstreut sein, und das ist bloß eine Schätzung.
Pérez war 16, als ihm Farc-Kameraden den Umgang mit Sprengstoffen beibrachten. Er hat die meisten Sprengsätze am Alto Capitán gelegt, darum schickten ihn nun seine Kommandeure in den Einsatz mit Minenräumern der Armee. Beide Seiten hatten vereinbart, unbewaffnet zusammenzuarbeiten, dennoch hatte Pérez Furcht vor dem Treffen mit den Soldaten. „Ich bin doch seit meiner Kindheit bei der Guerilla.“
Biertrinken statt totschießen
Auch die Soldaten waren misstrauisch, doch das schwand mit jeder geborgenen Sprengfalle. Mit Ortskenntnis und gutem Gedächtnis konnte der Guerillero die Uniformierten leiten und dann mit ihnen in der Dorfbar Karten spielen und Bier trinken. Allmählich wurden sie Kameraden, erzählten einander Anekdoten von daheim und vom Krieg, der das traumhaft schöne Land zwischen Pazifik und Karibik seit 1964 spaltet, als aus Bauernmilizen die Farc entstand.
Das Minenräumkommando gehört zu den ersten gemeinsamen Projekten im Rahmen der seit drei Jahren dauernden Friedensverhandlungen. Es wurde angeregt von der Verhandlungsgruppe zwischen Militär und Guerilla, die das militärische Ende des Konfliktes definieren soll. Der Punkt ist, wiewohl fortgeschritten, noch nicht ganz ausgehandelt. Bisher konnte man sich in vier großen Punkten einigen, der zentrale wurde Mitte Dezember geklärt: die Frage nach der rechtlichen Aufarbeitung der Farc-Taten und der Entschädigung für Opfer. Einsichtige Guerilleros erwarten Strafen von fünf bis acht Jahren, und nicht in normalen Gefängnissen. Auch sollen sie nicht ausgeliefert werden (viele stehen auf Fahndungslisten der USA).
Noch muss geklärt werden, wie Waffen übergeben werden und sich Kämpfer wie Héctor Pérez, die nur Krieg kennen, in die Gesellschaft eingliedern sollen. Spätestens am 23. März 2016 soll der Friedensvertrag stehen. Das wurde im September in Havanna vereinbart, wo es zum ersten Handshake zwischen dem Farc-Kommandanten alias Timochenko und Präsident Juan Manuel Santos kam. Der Staatschef hat errechnen lassen, dass ein Friedensschluss Kolumbien einen Wachstumsschub bescheren könnte, fünf bis sechs Prozent des BIP.
Das Minenräumkommando soll noch länger bleiben in El Orejón, denn es zeigte sich, dass dort nicht nur der Alto Capitán vermint war. Die Bergkuppe ist nun wieder sicher für Liebespaare und romantische Sonnenuntergänge.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.12.2015)