„Die Gewalt lässt uns nur stärker zusammenwachsen“

MIDEAST ISRAEL PALESTINIANS CONFLICT
MIDEAST ISRAEL PALESTINIANS CONFLICT(c) APA/EPA/JIM HOLLANDER (JIM HOLLANDER)
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In Jad Bejad findet der Unterricht zweisprachig statt: auf Hebräisch und Arabisch. Immer wieder greifen Radikale die bilinguale Schule in Jerusalem an. Doch die jüdischen und palästinensischen Kinder halten nach solchen Attacken noch mehr zusammen.

Jerusalem. Lilia und Jasmin sind beste Freundinnen, und das tragen sie demonstrativ zur Schau. Beide haben lange dunkle Haare, Jeans und an den Füßen sehr ähnliche Boots. Die zwei Mädchen, die nur wenige Kilometer voneinander entfernt wohnen, hätten sich vermutlich nie kennengelernt, würden sie nicht auf dieselbe Schule gehen, denn Lilia ist Jüdin und Jasmin Muslimin. „Jad Bejad“, zu Deutsch: „Hand in Hand“, so heißt die einzige bilinguale Schule in Jerusalem, in der jüdische und arabische Kinder gleich in beiden Sprachen das ABC büffeln.

Die jüngste Gewaltwelle mit zahlreichen Messerattacken lässt das Misstrauen zwischen den Völkern wachsen. Auf die beiden Zehntklässlerinnen wirkt sie gerade umgekehrt: „Die Gewalt lässt uns nur stärker zusammenwachsen“, sagt Lilia, und Jasmin nickt zustimmend. In bunten arabischen und hebräischen Buchstaben haben die Schüler ein riesiges Plakat gemalt, das sie quer über eine Wand spannten: „Wir leben unser gemeinsames Leben weiter.“

Die Zahl der Schulen, in denen zweisprachig unterrichtet wird, lässt sich landesweit in Israel an zehn Fingern abzählen. Trennung ist die Norm, und das fängt schon am Wohnort an. Die meisten wohnen entweder in jüdischen oder arabischen Ortschaften, und selbst in den gemischten Städten bleiben die Bevölkerungsgruppen in eigenen Wohnvierteln lieber unter sich.

In der 1998 gegründeten Schule Jad Bejad gilt das Motto: „Zusammen lernen, zusammen leben“. Vor genau einem Jahr legten drei rechtsradikale Aktivisten einen Brand in der Schule und zerstörten zwei Räume der ersten Klassen nahezu komplett. „Mit Krebsgeschwüren ist Koexistenz nicht möglich“, schrieben die drei Brandstifter an das Schulgebäude. Kurz vor Ende der Sommerferien standen erneut Hetzschriften an der Wand neben dem Eingangstor. Diesmal waren es Hakenkreuze und der düstere Appell: „Tod den Arabern“.

Sie begehen Pessach und Ramadan

Vor allem unmittelbar nach Messerattacken rotten sich oft radikale Gruppen zusammen und lassen ihrem Zorn freien Lauf. Die 17-jährige Michelle geht in die 11. Klasse der Jad-Bejad-Schule. „Manchmal versuche ich, mit diesen Leuten zu reden“, sagt sie, aber zugeben würde sie nicht, dass sie arabische Freunde hat. In einem solchen Umfeld sei das viel zu gefährlich. Das junge Mädchen macht sich Sorgen über „den Rechtsruck in der jüdischen Bevölkerung“, und auch in arabischen Vierteln, so wirft Jasmin ein, finde eine Radikalisierung statt.

Die Schüler kommen aus der ganzen Stadt, Ostjerusalem inklusive. Manche sind von den neuen Sperren betroffen, die die Sicherheitsdienste infolge der Attentate an den Zufahrtsstraßen zu den arabischen Wohnvierteln aufstellten.

„Auch einige Lehrer konnten anfangs überhaupt nicht kommen oder nur mit großer Verspätung“, berichtet Shuli Dichter, Geschäftsführer von Jad Bejad. Ob Lehrer oder Schüler, Jude oder Araber – allen gemein sei das Gefühl der Sicherheit, sobald sie das Schulgelände erreicht haben.

Ein Geheimnis der wie selbstverständlich gelebten friedlichen Koexistenz unter den Schülern ist, dass sie in den gemeinsamen Alltag hineinwachsen. Die meisten kennen sich schon vom Kindergarten, sie gehen gemeinsam in die Ferien, egal, ob Pessach, Ramadan oder Weihnachten gefeiert wird, und alle sind mit der Religion und der Tradition des anderen vertraut. Von der ersten Klasse an findet der Unterricht parallel auf Hebräisch und Arabisch statt. Jeweils zwei Lehrerinnen gehören zu jeder Klasse, und zwei Direktoren, ein Jude und eine Araberin, teilen sich den Chefposten.

Nur am Heldengedenktag bleiben die Juden unter sich, und auch die unterschiedlichen Assoziationen am Unabhängigkeitstag, der für die Juden ein Grund zum Feiern ist, für die Araber hingegen Erinnerung an die Vertreibung der Palästinenser aus ihrer Heimat, sollen Raum in der Schule haben.

„Wir sind uns ganz sicher nicht immer einig“, sagt Jasmin, wobei die unterschiedlichen Meinungen nicht entlang der ethnischen jüdisch-arabischen Linie verlaufen müssen. Oft diskutierten auch Juden untereinander kontroversiell miteinander und genauso arabische Klassenkameraden. „Wichtig ist, dass wir die andere Meinung hören und akzeptieren.“

Österreich spendierte die Bibliothek

650 Schüler beherbergt das moderne Schulgebäude, das sich auf 5000 Quadratmetern erstreckt. Finanziert wird Jad Bejad aus dem Budget des Erziehungsministeriums und dem Schulgeld der Eltern. Außerdem akquiriert die Jerusalem-Stiftung Spenden auch aus Deutschland.

Die österreichische Regierung hat die Bibliothek des neuen Hauptgebäudes finanziert und der Schweizer Kanton St. Gallen die Pausenhalle. „Wir können das Problem nicht lösen“, sieht Schuldirektorin Nadia Kinane ein, „aber wir haben die Hoffnung, dass die Veränderungen von unseren Schülern mitgetragen werden.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.12.2015)

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