Spital ohne Unterschiede: Wo Juden und Araber zusammen Leben retten

A file picture shows a nurse holding a newborn baby at a nursery in Hadassah Ein Kerem Medical Center in Jerusalem
A file picture shows a nurse holding a newborn baby at a nursery in Hadassah Ein Kerem Medical Center in Jerusalem(c) REUTERS (RONEN ZVULUN)
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Gemeinschaft zwischen Juden und Arabern ist im Hadassah-Krankenhaus in Jerusalem normal. Die Patienten kommen von überall.

Jerusalem. Im 3. Stock des Hadassah-Krankenhauses auf dem Berg Skopus in Jerusalem ist die Chirurgie untergebracht. Professor Ahmed Eid, ein muslimischer Araber, der unweit vom Berg Tabor in Galiläa aufwuchs, ist Chefarzt der chirurgischen Abteilung. „Fifty-fifty“, sagt Eid, sei die Verteilung von Juden und Arabern beim Krankenhauspersonal – fünfzig zu fünfzig. „Ausschlaggebend bei der Einstellung ist, wer seinen Beruf gut macht.“

Auch die Patienten setzen sich mehr oder weniger je zur Hälfte aus Juden und Arabern zusammen. „Es kommen Leute aus Ostjerusalem, aus den umliegenden palästinensischen Vierteln Beit Chanina oder Issawijah, aber auch aus den Siedlungen im Westjordanland und Beduinen.“ Ungeschriebenes Gebot ist, stets den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. Herkunft und Religion spielen keine Rolle.

Wichtigstes Krankenhaus des Landes

Hadassah ist das älteste Krankenhaus Israels, und es gilt bis heute als das wichtigste. Schon 1939, lange vor der Staatsgründung, fand die Eröffnung auf dem Berg Skopus im Nordosten Jerusalems statt. Während des Unabhängigkeitskrieges und nach dem Tod von 77 Ärzten und Krankenschwestern bei einem Überfall arabischer Widerstandskämpfer, wurde das Krankenhaus geschlossen. Das Haupthaus liegt heute in Ein Karem, im Westen der Stadt. Auf dem Berg Skopus ging der Betrieb erst wieder nach dem Sechstagekrieg und Israels Eroberung von Ostjerusalem los. Als „Mikrokosmos“ bezeichnet Prof. Eid das Hadassah-Regionalkrankenhaus auf dem Skopus. „Man sieht fromme Juden mit Kipa und muslimische Frauen mit Hidschab.“

„Ein Ahmed hat dich gerettet“

Zwei Krankenpfleger in hellblauen Uniformen schieben einen Wäschewagen vor den Fahrstuhl und unterhalten sich angeregt auf Arabisch. Die Patienten scheinen den Völkermischmasch wie selbstverständlich zu empfinden. Für die meisten spiele es weder eine Rolle, ob ein Jude oder Araber im Bett nebenan liegt, noch, welcher Religion das medizinische Personal angehört. „Mir ist es noch nie passiert, dass ein Patient nicht von mir behandelt werden wollte, weil ich Araber bin“, berichtet der arabische Chirurg.

Seit Beginn der Unruhen auf dem Tempelberg in der Altstadt Anfang Oktober und der anschließenden Serie von Messerattacken kommen wieder mehr Terroropfer in die Aufnahme, und nicht selten sind alle zwölf Operationsräume komplett belegt. Ein 13-jähriger Junge musste über Tage im künstlichen Koma gehalten werden, nachdem ihm der gleichaltrige Palästinenser Ahmed Manasra überfallen hatte. „Ein Ahmed hat dich verletzt, und ein Ahmed hat dich gerettet“, sagte Prof. Ahmed Eid, als der junge Jude aus dem Koma erwachte.

Seit 40 Jahren schon kennen sich Eid und sein Kollege Yochanan Schiffmann, Chef der Anästhesie im Krankenhaus. Die beiden Männer gehörten zum selben Jahrgang am medizinischen Institut der Hebräischen Universität. Die Ärzte standen nebeneinander am Operationstisch, um dem 13-jährigen Israeli das Leben zu retten.

„Noch nie“ habe es aufgrund der unterschiedlichen Volks- und Religionszugehörigkeiten unter den Angestellten Probleme gegeben, meint Schiffmann. Und niemals werde im Hadassah ein Unterschied gemacht, ob ein Patient Jude oder Araber ist, noch nicht einmal, „ob einer Opfer oder Terrorist ist“.

Schiffmann berichtet über eine Operation, bei der „sechs Chirurgen und sechs Anästhesisten über vier Stunden lang an einem Mann operierten, der mit über 20 Einschüssen im Körper eingeliefert worden war“. Der Palästinenser hatte israelische Sicherheitsleute mit einem Messer angegriffen und war von mehreren Beamten gleichzeitig niedergestreckt worden. „Am Ende konnten wir ihn doch nicht retten.“

Vier Opfer und eine Angreiferin

Viele der Messerangriffe ereignen sich in unmittelbarer Umgebung des Krankenhauses, das dicht an der sogenannten Grünen Linie liegt, die den früheren jordanisch-israelischen Grenzverlauf markiert. Schiffmann erinnert sich an einen Tag, an dem fünf Verletzte eingeliefert wurden, „vier Terroropfer und eine palästinensische Angreiferin“. Alle fünf mussten umgehend behandelt werden. „Sobald du das Tor zum Krankenhaus überschreitest,“ so resümiert der Sohn ungarischer Holocaustüberlebender, „spielt es keine Rolle, woher du kommst oder zu welchem Gott du betest.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.12.2015)

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