Es gibt auch Licht mitten im Tunnel

Tunnel
Tunnel(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Zeitunglesen und Zeitungmachen sind in Krisenzeiten nicht immer nur ein Vergnügen. Ein ausgiebiger Blick auf das, was dennoch gelingt, lohnt doppelt.

Erschöpft. Dieses Wort des Jahres steht auf keiner der Listen, die Anfang Dezember veröffentlicht werden. Doch trifft es zu. Zuallererst natürlich auf die viel zu vielen, die tatsächlich erschöpft sind. Von ihrer Flucht. Deshalb gehört das Wort in diesen Tag zuerst und überhaupt nur ihnen. Und trotzdem wollen wir es uns einen Leitartikel lang borgen. Borgen, um kurz darüber nachzudenken, was das Leben in den zuletzt berichteten Dauerkrisen (die Eurokrise, die Flüchtlingskrise, die Terrorkrise) mit und aus uns macht.

Denn die Erlebensschere, die hier in Mitteleuropa gerade aufgeht, sorgt im besten Fall nur für Verwirrung, meistens aber für das Gefühl, nicht mehr sicher zu sein: Hier eine Gesellschaft in der längsten Friedensphase ihrer Geschichte, im wahrscheinlich größten erreichten Wohlstand, nicht nur materiell, sondern sozial, ideell. Und vor allem, was die Freiheit, die Chancen des Einzelnen anlangt, nicht nur (irgend-)etwas, sondern ziemlich genau das aus seinem Leben zu machen, was man sich vorstellt. Und dort die täglichen Nachrichten, die ja nicht etwas Abstraktes sind, sondern das, was wir uns über die Welt erzählen (lassen), in denen überwiegend von Elend, Tod, Hass und drohendem Untergang die Rede ist.

Wer dieser Tage die erscheinenden Ausgaben für Jahresrückblicke 2015 sichtet, kommt aus dem Schaudern kaum heraus. Waren die ersten Monate dem Kampf gegen das Zerbrechen der Eurozone gewidmet, geht es spätestens seit dem Sommer Ausgabe um Ausgabe nur noch um das nackte Überleben. Das sorgt vor allem auch deshalb für Verunsicherung, weil viele Ausläufer dieser Berichte nur dann und wann in unsere Realität hereintröpfeln: Auf den Bahnhöfen und bei Grenzübergängen, über Sicherheitsverschärfungen nach den Terrorattacken, und weil es immer mehr Menschen im Bekanntenkreis gibt, denen die Wirtschaftskrise zusetzt. So funktionieren viele der Geschichten und Bilder in den Medien wie die Märchen unserer Kindheit: Wir leben gebannt lauschend mit, fürchten uns von Herzen, sind aber dem Wolf noch gar nicht tatsächlich begegnet.

Erschöpft von den vielen schlechten Nachrichten also, das Wort noch einmal in aller Demut ausgeborgt, ist natürlich auch die Leserin, der Leser. Und gleichzeitig misstrauisch, wenn die eigene Wahrnehmung nicht zufriedenstellend mit der berichteten in Übereinstimmung gebracht werden kann. Da sind zum Beispiel Zeitungsmacher dann nicht nur die Überbringer viel zu schlechter Nachrichten im Übermaß, sondern gleichzeitig – klingt paradox – dem Vorwurf ausgesetzt, die wirklich schlechten Botschaften sogar noch zurückzuhalten (Stichwort: Lügenpresse). In welchem Auftrag oder zu welchen Gunsten, wird nur selten klar. Ernst nehmen muss man es jedenfalls dennoch, dieses Gefühl, niemandem vertrauen zu können, schlecht informiert zu werden, einem geschlossenen System gegenüberzustehen, das absichtlich unzutreffend informiert.

Erschöpft aber, und jetzt geben wir das Wort wirklich an die tatsächlich Erschöpften zurück, sind auch die Überbringer der schlechten Nachrichten. Das Zeitungmachen in Zeiten der zig Krisen etwa ist Verantwortung und Herausforderung zugleich. Weil die Aufgabe, die Welt abzubilden, sich nicht in einer monothematischen Sicht auf die Dinge erschöpfen darf. Alle Facetten der Welt müssen trotzdem berichtet, ein nüchterner Blick auf das Ganze bewahrt werden, die uns so intensiv beschäftigenden Krisen sind eben auch nur ein Teil davon. Gleichzeitig darf man sich mit diesem Hinweis nicht davor drücken, auch Verstörendes über einen längeren Zeitraum hinweg dem Gegenüber zuzumuten.


Das alles abgewogen und nun auch gesagt habend, legen wir kurz vor Weihnachten noch einmal eine Ausgabe vor, die jenem gewidmet ist, das trotzdem gelingt. Von Lichtblicken ist die Rede, in vollem Bewusstsein, dass für viele momentan eher die düsteren Seiten überwiegen. Vielleicht bringt dieser Perspektivenwechsel ja nur den einen oder anderen neuen Blickwinkel, von Fall zu Fall sogar Zuversicht und hie und da neue Hoffnung. Das könnte dann das Wort des kommenden Jahres werden.

E-Mails an: florian.asamer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.12.2015)

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