Opec: Vor dem Terror sagten sie noch "Grüß Gott!"

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Die Opec-Geiselnahme in Wien vor vierzig Jahren hat viel mit dem heutigen Terrorismus gemein: Sie wurde im Nahen Osten vorbereitet und in Europa durchgeführt.

Das Terrorkommando kam mit der Ring-Straßenbahn. Kurz vor 11.30 Uhr, am 21. Dezember 1975, traf die Bahn fast direkt vor dem Sitz des Opec-Generalsekretariats am Dr.-Karl-Lueger-Ring Nummer zehn – seit 2012 Universitätsring – ein. Der 26-jährige Venezolaner Ilch Ramírez Sánchez, genannt Carlos, hatte sich nur Tage zuvor in einer Boutique eine Baskenmütze gekauft. Damit ahmte er sein Vorbild Che Guevara nach. Aber die Operation in Wien hatte nichts mit Guerillakrieg zu tun. Es war eine Auftragsarbeit im Dienste eines arabischen Despoten, nämlich Muammar al-Gaddafi. Dieser wollte die Preispolitik der Organisation erdölexportierender Länder, Opec, zu seinen Gunsten beeinflussen. Bestraft werden sollten vor allem die Ölminister von Saudiarabien und dem Iran, Ahmed Zaki Yamani und Jamshid Amouzegar, die den Förderhahn aufgedreht hatten.

Mit der Umsetzung war die Special Group der Volksbefreiungsfront für Palästina (PFLP) von Wadi Haddad betraut. Der ehemalige Kinderarzt gilt bis heute als Pate des modernen Terrorismus. Er hatte die ersten Flugzeugentführungen Ende der 1960er-Jahre durchführen lassen. Neben Carlos und drei weiteren eigenen Leuten warb Haddad zwei junge deutsche Linksextremisten – Gabriele Kröcher-Tiedemann und Hans Joachim-Klein – an. Beide stammten aus Gruppen, die auch in Haddads Lagern im Süd-Jemen trainierten. Hier zeigt sich: Die Opec-Geiselnahme hat viel mit dem heutigen Terrorismus gemein. Sie wurde als „Joint Venture“ im Nahen Osten vorbereitet und mitten in einer europäischen Hauptstadt durchgeführt.

An jenem verschneiten Sonntagvormittag war vor dem Opec-Eingang ein einzelner Polizeibeamter positioniert, der aber nur die Zu- und Abfahrt regelte. In den Räumlichkeiten versahen zwei Staatspolizisten Dienst: Anton Tichler, der zwei Monate vor der Pensionierung stand, sowie Josef Janda. Unter diesen Gegebenheiten war es für die Terroristen ein leichtes, das Treffen von hochgefährdeten Persönlichkeiten zu überfallen. Am Zugangsposten gingen sie zielstrebig vorbei: „Die Herrschaften haben freundlich gegrüßt, ich glaube, sie haben ,Grüß Gott‘ gesagt oder ,Guten Tag, Herr Inspektor‘.“

Der genaue Ablauf der nachfolgenden Ereignisse ist umstritten – 62 Geiseln, darunter elf Erdölminister, brachten die Bewaffneten in ihre Gewalt. Alles ging schnell. „Nada“ – also Gabriele Kröcher-Tiedemann – erschoss den Staatspolizisten Tichler, als dieser Hilfe holen wollte. Laut Zeugenaussagen tötete sie kurz darauf auch den Leibwächter des irakischen Erdölministers Saces al Khafazi. Das dritte Opfer – der libysche Delegierte Jussuf Izmirili – wurde erst im Zuge der Tatbestandsaufnahme gefunden. In diesem Fall war Carlos der Täter. Als er ein Bürozimmer kontrollieren wollte, hatte er sich plötzlich Izmirili gegenüber gesehen und nach einer Rangelei geschossen.

Nur acht Beamte. Insgesamt drei Notrufe wurden abgesetzt. Kurz vor zwölf Uhr traf das Einsatzkommando der Bundespolizeidirektion Wien (Eko) am Schauplatz ein. Das Eko bestand gerade einmal aus acht Beamten, die mit Wehrmachtsstahlhelmen, Maschinenpistolen und nur zwei schusssicheren Westen ausgestattet waren. Es waren durchwegs ältere Männer. Man hatte sie bewusst ausgewählt, weil sie als erfahren galten – der Terrorismus zählte nicht dazu. Die Polizisten stürmten über die Treppe in den ersten Stock und versuchten, in das Foyer einzudringen. Angeführt wurden sie von dem kriegsversehrten Kurt Leopolder. Beim anschließenden Feuergefecht erhielt der Terrorist Klein einen Bauchschuss, während Leopolder einen Treffer im Gesäß abbekam („In Oasch hobn's mi gschossn. Oba den Hund hob i dawischt“).

Um 16.27 Uhr fand sich ein Sonderministerrat im Bundeskanzleramt ein. Bruno Kreisky war noch auf der Rückreise aus dem Winterurlaub. Erst am Morgen des 21. Dezember war er in Lech am Arlberg eingetroffen. Beim Frühstück kam der Anruf: „Da hab ich mir halt gleich einen Hubschrauber bestellt und bin nach Salzburg geflogen. Die Dinger sind ja saukalt, und laut war's auch und windig. Dös is nix für mich mit so 'nem Radl in der Luft. Von da bin ich mit einer richtigen Maschine nach Wien geflogen. Der Urlaub jedenfalls war hin.“

Am Abend war Kreisky in Wien und gab die Linie vor: „Ich möchte (?) jetzt schon sagen, dass es für mich klar ist, dass morgen früh alle ausgeflogen werden. Eine andere Lösung hat überhaupt keinen Sinn.“ Als Zieldestination kam Algerien in Betracht, das Land erteilte eine Landegenehmigung.

Am nächsten Morgen war in Schwechat eine DC-9 mit der Flugnummer OS 5950 bereitgestellt. Es war das dienstälteste Flugzeug der AUA-Flotte, um den Schaden bei etwaigem Verlust so gering wie möglich zu halten. Der Konvoi mit den Terroristen und den Geiseln traf gegen neun Uhr ein – die in Österreich ansässigen Angestellten waren zuvor, wie gefordert, freigegangen. Carlos hatte 33 Personen – darunter elf Minister – in seiner Gewalt. Quasi zum Abschluss streckte er dem anwesenden Innenminister Otto Rösch die Hand hin. Dieser griff zu, und der Skandal war perfekt. Zumindest war man die Terroristen los. Handelsminister Josef Staribacher notierte in sein Tagebuch: „Die Tragik liegt bei dieser ganzen Aktion bei den drei Toten. Der österreichische Kriminalbeamte ein Freund der Araber. Die arabisch getöteten Iraker und Libyer, ausgesprochene Freunde und Förderer des arabischen ,Befreiungskampfes‘. Hier kann man zum Schluss wirklich nur sagen: Inschallah! [sic!]“

In Algier gab Carlos die Direktive aus, Tripolis anzusteuern. Doch offenbar galt die Abmachung nicht mehr – die AUA-Maschine musste schon am 23. Dezember zurückfliegen. Der Mord an dem libyschen Delegierten soll Gaddafi verärgert haben. Die Algerier wiederum drohten, das Flugzeug zu stürmen. Gegen Zahlung eines Lösegelds – die Schätzungen reichen bis 50 Millionen Dollar – war Carlos bereit, die Geiseln freizulassen. Er selbst avancierte lange vor Osama Bin Laden zum Gesicht des internationalen Terrorismus. Erst 1994 wurde Carlos im Sudan verhaftet und nach Frankreich ausgeliefert. Dort wurde er wegen anderer Verbrechen zu zweimal lebenslänglich verurteilt. Ansonsten musste nur Klein eine kurze Haftstrafe in der Bundesrepublik absitzen. Österreich hatte es stets vermieden, ein Verfahren in Sachen Opec zu eröffnen.

"Da haben wir geirrt." Die Opec war im Juli 1965 von Genf nach Wien übersiedelt. An jenem Sonntagvormittag war die Ministerkonferenz seit einer Stunde im Gange. Den sechs Terroristen spielte in die Hände, dass die Sicherheit lax gehandhabt wurde. Kreisky räumte später einen „entscheidenden Fehler“ ein: Die Opec wurde für die am „wenigsten gefährdete Institution“ gehalten, weil einige der Mitgliedsstaaten den Terrorismus förderten. „Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass diese Organisation – auch sie selber kam übrigens zu dem Schluss – kein Sicherheitsrisiko darstellt. Da haben wir geirrt“, so Kreisky.

Um den Nahostterror von Österreich fernzuhalten, hatte Kreisky auf den Aufbau guter Beziehungen zu Arafats PLO und zu Gaddafi gesetzt. Die Rechnung ging nicht auf: 1981 ermordeten Killer der mit Arafat verfeindeten Abu-Nidal-Organisation den SPÖ-Politiker Heinz Nittel und verübten einen blutigen Anschlag auf die Wiener Synagoge. Und am 27. Dezember 1985, vor nunmehr 30 Jahren, attackierten die Killer der Abu-Nidal-Organisation den El-Al-Schalter am Schwechater Flughafen. Bilanz: drei Tote und 39 Verletzte.

Heute hat sich die Bedrohung gewandelt: Es genügt bereits ein „lone wolf“, und die Möglichkeiten der Massenkommunikation haben sich exorbitant gesteigert. Vor 40 Jahren mussten die Opec-Geiselnehmer ihr maschinengetipptes Kommuniqué noch im Radio verlesen lassen.

Zum Autor: Thomas Riegler ist Zeithistoriker und freier Journalist in Wien. Zum Thema hat er via Amazon Direct Publishing ein E-Book veröffentlicht („Tage des Schreckens: Die OPEC-Geiselnahme 1975 und die Anfänge des modernen Terrorismus“).

Buchtipp

Thomas
Riegler

ist Zeithistoriker und freier Journalist in Wien.

Das Sachbuch bei Amazon Direct Publishing:
„Tage des Schreckens: Die Opec-Geiselnahme 1975 und die Anfänge des modernen Terrorismus“,
312 Seiten,
5,50 Euro.

privat

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.12.2015)

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