Doderer "Ich war wild und nicht zu bändigen!"

„Ich habe nicht trotz Kind Karriere gemacht, sondern durch die Liebe zu meinem Sohn“, sagt Johanna Doderer.
„Ich habe nicht trotz Kind Karriere gemacht, sondern durch die Liebe zu meinem Sohn“, sagt Johanna Doderer.Die Presse
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Johanna Doderer, deren Kinderoper "Fatima" demnächst in der Staatsoper uraufgeführt wird, spricht über Wut, Träume und den weitverzweigten Doderer-Clan: "Die Doderers sind temperamentvolle Menschen."

Sie haben ein riesiges Œuvre. Jetzt kommt mit „Fatima“ als erste Arbeit von Ihnen in der Wiener Staatsoper eine Kinderoper heraus. Ist das nicht schade?

Johanna Doderer: Es ist eine Kinderoper für das große Haus. Das war mir wichtig. Das habe ich auch mit Direktor Meyer von Anfang an so besprochen, weil natürlich besteht die Gefahr, dass man als Frau mit einer Kinderoper ins Mama-Eck verfrachtet wird. Aber ich schreibe auch wieder an einer großen Oper, die 2016 zur Eröffnung des Münchner Staatstheaters am Gärtnerplatz herauskommen wird.

Wie ist Ihre Beziehung zu Kindern?

Ich habe einen Sohn, Patrick, allerdings ist er schon groß, 20. Aber ich bin umgeben von Kindern, die auch meine Geschichte getestet haben. Kinder sind das ehrlichste, spontanste Publikum.

In „Fatima“ geht es um Kinderträume. Wovon haben Sie als Kind geträumt?

Von vielem! Ich wollte Maskenbildnerin oder Bildhauerin werden. Ich habe Tiere geliebt, speziell Pferde. Tierärztin war eine Option. Und ich wollte reisen. Für mich war wichtig, etwas zu tun, bei dem man immer weiterarbeiten kann. Komponieren ist endlos, man ist stets am Anfang. Letztlich war ich unglücklich mit allem anderen. Daher dachte ich, ich mache das, was selbstverständlich ist: Musik war mein Leben!

Gab es viel Musik bei Ihnen daheim?

Meine Eltern waren Lehrer. Musik hatte einen großen Stellenwert. Mein Vater hat mehrere Instrumente gespielt. Wir gingen regelmäßig ins Konzert. Es hat niemanden gewundert, dass ich, nachdem ich überall gescheitert war, gesagt habe: Jetzt mache ich Musik. Ich hatte einen schrecklichen Ruf und eigentlich nichts mehr zu verlieren. Ich war nicht zu bändigen. Ich war ein wildes und freies Mädchen.

Man sieht Aufnahmen von Ihnen mit Eule, Pferden und beim Klettern.

Ich tat mir sehr schwer in der Schule und meine Lehrer taten sich schwer mit mir. Mit 17 habe ich gesagt, ich mache jetzt Musik. Mit Klavier hatte ich begonnen, ich habe richtig zu üben angefangen, ferner Kontrabass und Cello gespielt. Die Schule habe ich abgebrochen, ich habe in Graz studiert, dann bin ich nach Wien auf die Musikuniversität gegangen, dort habe ich sehr viel bekommen. Aber da war ich schon Komponistin, und es wurden auch bereits Werke von mir aufgeführt.

Spielt der Computer in Ihrer Kompositionsarbeit eine Rolle?

Bis 2004 habe ich alles mit der Hand geschrieben. Ich habe auch lang ohne Klavier gearbeitet. Der Computer ist heute wichtig, wenn ich eine Partitur mache oder einen Klavierauszug. Dafür ist er eine Riesenhilfe. Ich setze die Noten in den Computer, aber ich kann nicht am Computer komponieren.

Aber wie finden Sie den Klang?

Grauenhaft! Tomaten-Dosen-Sound nennen wir das. Nur mit sehr viel Fantasie vermag man sich vorzustellen, wie die Musik wirklich klingt.

Sie haben sicher einen tollen Flügel daheim. Steinway, Bösendorfer, Yamaha?

Bohren Sie nicht in meinen Wunden! Ich habe nur ein Wandklavier. Wir hatten einen fantastischen Bösendorfer. Aber meine Wohnung war damals zu klein. Fragen Sie nicht weiter. Bitte!

Haben Sie die „Fatima“-Geschichte, die auf einer Erzählung des deutsch-syrischen Schriftstellers Rafik Schami basiert, selbst ausgesucht, oder war die vorgegeben?

Mein Sohn und ich haben immer gern die Bücher von Rafik Schami gelesen. Als die Kinderoper im Gespräch war, habe ich gleich an Rafik Schami gedacht, meine Schwester hat ihn interviewt. Er war in Wien, wir haben uns getroffen, und es war sofort klar: Das ist es! Obwohl wir uns noch mehrere andere Stoffe von ihm angesehen haben.

Waren Sie selbst einmal in Syrien?

Ich habe zu Syrien einen starken Bezug. 2011 war ich in Damaskus. Ich hatte Proben an der Oper, hielt Workshops. Es war eine meiner schönsten Reisen. Allerdings gab es damals schon Demonstrationen. Ich habe jetzt auch eine syrische Familie bei mir.

Wie geht das mit Ihrer Arbeit zusammen?

Klar hatte ich Zweifel, wie sich das mit den Proben in der Staatsoper ausgeht. Aber: Viele leben heute als Singles. Die Begegnung mit der syrischen Familie bedeutet, dass man mitten im Leben steht und Verantwortung trägt: Man bekommt ja die ganze Geschichte dieser Menschen mit, alles über die Verwandten, die noch in Syrien sind oder im Libanon im Lager. Es ist bestimmt nicht die Empathie, die einen davon abhält, ganz zu sich zu finden.

Wie war das mit Ihrer eigenen Familie?

Mein Sohn hat verstanden, dass die oberste Priorität meine Arbeit war, schon, als er klein war. Er war aber auch in meinen Arbeitsprozess integriert. Ich habe nicht trotz Kind Karriere gemacht, sondern durch mein Kind, durch das erfüllte Leben und die gelebte Liebe zu meinem Sohn.

Welche Komponisten waren wichtig für Sie?

Ich habe mich sehr viel mit Bruckner beschäftigt. Beethoven, Richard Strauss, von ihm habe ich viel über Instrumentation, Farben im Zusammenhang mit Stimmen und Orchester gelernt. Lutosławski, Nono waren wichtig, auch Natur und Landschaft: zum Beispiel in meiner zweiten Symphonie der Wocheiner See in Slowenien.

Welche Musik hören Sie privat?

Ich höre viel Musik, hauptsächlich im Auto. Ich höre auch neue Sachen wie Techno, mein Sohn macht da spannende Mischungen, er schwankt gerade, ob er Musik oder Technische Physik studieren soll. Aber ich höre mir auch meine eigene Musik an, rauf und runter, das klingt jetzt total verrückt.

Musik und Mathematik haben viel miteinander zu tun, heißt es. Stimmt das?

Schon. In meiner unglaublichen Schulkarriere war ich auch in einer HTL. Damals war ich sehr gut in Mathematik: kurze Zeit, ich wollte das einfach wissen und ich glaube, ich hätte das Zeug dazu gehabt.

In der Musik ist schon alles erfunden, und man kann alle Stile mischen, so scheint es. Wird eines Tages noch einmal etwas auftauchen, was so neu ist wie Wagner oder Arnold Schönberg, dass jeder sagt: Wow!

Meiner Ansicht nach kann man Musik nicht erfinden. Man muss sie finden oder noch besser, sie muss einen finden. Wenn ich versuche, etwas Neues zu machen, ist vor allem mein Hirn präsent, mein Ego verkrampft sich, ich finde dann vielleicht etwas Neues, aber das schaut dann schon bald wieder alt aus. Musik, die 50, 100 oder 200 Jahre alt ist, hat sich deswegen so lang gehalten, weil die Komponisten sehr klar, ehrlich und emotional ihrer Zeit gegenüber waren. Sie haben sich auf diese eingelassen. Das ist eine starke Begabung, zu hören und zu erfassen. Das sind oft ganz einfache Dinge, die aber so stark und groß sind, dass sie über die Zeit hinausreichen.

Die Doderers sind ein weitverzweigter Clan. Kommen da manchmal alle zusammen? Gibt es eine Familieneigentümlichkeit? Zum Beispiel den Zorn?

Da muss ich jetzt aufpassen. Sagen wir lieber: Die Doderers sind temperamentvolle Menschen, sehr originell, eigenwillig, eigensinnig, humorvoll, auch jähzornig. Und ja, wir sind ein Clan. Es gibt verschiedene Lager, die sich sogar mögen bzw. es hat sich in letzter Zeit aufgelockert. Wir sind eine große, mental, nicht finanziell reiche Sippe, ihre Mitglieder beobachten einander und halten Kontakt zueinander. Wir sind in Vorarlberg aufgewachsen. Wir waren ein Fünf-Mäderl-Haus, und wir sind noch immer eine geballte Ladung.

Was machen Ihre Schwestern?

Imogena ist beim ORF, Margaretha hat Jus studiert, lebt in Italien und ist Schamanin. Andrea hat wie meine Mutter viel mit Pferden gemacht. Elisabeth hat Philosophie studiert.

Kehren wir zum Schluss noch einmal zu „Fatima“ zurück. In dieser Geschichte geht es auch um Wut. Was macht Sie wütend?

Ich kann Menschen nicht leiden, die berechnend sind und andere ausnützen, um für sich einen Vorteil herauszuschlagen. Richtig böse werde ich, wenn jemand einen anderen quält.

Was hat Sie bisher am meisten gefreut bei den „Fatima“-Proben?

Als ich mit den Statisten im Lift fuhr, habe ich gehört, wie sie meine Melodien gepfiffen und gesummt haben.

Auch eine Komponistin schwerer Stoffe träumt von der Schaffung eines Ohrwurms?

Ein Ohrwurm ist das Schwierigste, besonders, wenn er nicht banal ist.

Frau Doderer, darf man Sie auch fragen...


1. . . ob es Gründe für die geringe Zahl von Komponistinnen gibt?

Komponieren ist ein kreativer geistiger Prozess. Um diesen umzusetzen, braucht man eine eigene Sprache, viel Kraft, viel Freiraum. Man muss egoistisch sein, die Tür zumachen und sagen: Hier ist die hohe Kunst, hier bin ich, ich muss mich konzentrieren. Frauen fällt das schwerer als Männern.

2. . . ob der Name Doderer eine Bürde oder eine Würde ist?

Eine Würde! Wir lieben Heimito von Doderer, er ist für mich ein ganz Großer. Die Vertonung des „Wutmarsches“ aus seinen „Merowingern“ ist eines meiner meistgespielten Werke.

3. . . ob Ihnen auch manchmal nichts einfällt?

Inspiration ist ein harter Prozess. Man muss sehr viel Arbeit ins Komponieren investieren. Ich setze mich jeden Tag hin und schreibe etwas, egal, ob mir etwas einfällt oder nicht. Diese Bereitschaft und die Härte muss man haben. Man muss dranbleiben.

Steckbrief

1969
Johanna Doderer wird in Bregenz geboren. Sie ist die Großnichte des Schriftstellers Heimito von Doderer

1986
Studium in Graz und Wien u. a. bei Beat Furrer, Klaus Peter Sattler, Erich Urbanner.

2000
Opern „Die Fremde“ nach Euripides' „Medea“, „Strom“ (nach den „Bakchen“), „Falsch verbunden“ mit einem Libretto von Daniel Glattauer, „Der leuchtende Fluss“ (über die Schlacht um Iwojima, Pazifik, 1945).

2003
Vokalmusik, Lieder, Symphonien (No. 2 „Bohinj, Violinkonzert „In Breath of Time“ mit Anne Schwanewilms, CD). Weitere Interpreten: Patricia Kopatchinskaja, Marlis Petersen, Ildiko Raimondi.

2015
Am 23. 12. wird in der Staatsoper „Fatima oder von den mutigen Kindern“ uraufgeführt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.12.2015)

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