Massenproteste und Drohungen aus der EU haben die Entmachtung des Höchstgerichts nicht gestoppt.
Warschau. Die Entmachtung des polnischen Verfassungsgerichts hat in Polen selbst und in der EU Proteste ausgelöst. Die Luxemburger Ratspräsidentschaft droht mit einem EU-Verfahren gegen die rechtskonservative Regierung. „Die Einschränkungen des Rechts des Verfassungsgerichts sind nicht akzeptabel“, so der luxemburgische Außenminister, Jean Asselborn. Die Entwicklung in Warschau erinnere „leider an den Kurs, den auch diktatorische Regime gegangen sind“.
Zahlreiche Europaabgeordnete und auch die Luxemburger Regierung wollen in der EU den Druck gegen die Regierung in Warschau erhöhen. Asselborn stellte in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters sogar Sanktionen in den Raum. Europa habe bereits den Fehler gemacht, die Einschränkungen der Gewaltenteilung in Ungarn hinzunehmen. „Aber wenn wir das bei einem großen EU-Land wie Polen zulassen, dann können wir uns von der EU als Wertegemeinschaft verabschieden.“
Trotz Großdemonstrationen im Land hat die mit absoluter Mehrheit regierende Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) im Parlament am Dienstagabend die Reform des Verfassungsgerichts beschlossen. Ex-Präsident Lech Walesa verurteilte die Entscheidung. Bereits kurz nach ihrem Wahlsieg hatte die PiS auf der Basis eines von ihr verabschiedeten Gesetzes fünf neue Verfassungsrichter bestimmt und damit eine Welle der Kritik von Opposition, Medien und ausländischen Politikern ausgelöst.
Längere Amtszeit möglich
Bis zu 20.000 Polen waren am Wochenende allein in der polnischen Hauptstadt gegen die Entmachtung des Höchstgerichts auf die Straße gegangen. Auch in Krakau und Danzig demonstrierten bis zu 7000 Bürger, in 20 weiteren Städten waren es noch mehrere tausend.
Die Regierung unter Ministerpräsidentin Beata Szydlo kann durch die Justizreform künftig ihre umstrittenen Gesetzesprojekte ohne Prüfung durch den Verfassungsgerichtshof durchsetzen. Das gilt vom Durchleuchtungsgesetz, das das Verfassungsgericht zur Zeit der ersten Kaczyński-Regierung (2005–2007) gestoppt hatte, bis zu einer denkbaren Verlängerung der Amtszeit für die im Oktober 2015 gewählten Abgeordneten von vier auf zehn oder mehr Jahre. (ag./flü)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.12.2015)