Gebärdensprache: Ihre Avatare zeigen es allen

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Übersetzungen in die Gebärdensprache werden immer häufiger gebraucht. Eine Wiener Firma hat einen kosten- und zeitsparenden Weg gefunden, mit computeranimierten Avataren standardisierte Texte zu übersetzen.

Smartphones haben unser Leben verändert. Ob ausschließlich zum Besseren, kann debattiert werden. Definitiv einen Gewinn stellen die allgegenwärtigen Geräte allerdings für Gehörlose dar: Seitdem sich Technik und Bandbreite rasant weiterentwickelt haben, können sie dank Videotelefonie wesentlich einfacher kommunizieren, als das zuvor der Fall gewesen ist. Videos wurden immer wichtiger im Alltag von Gehörlosen – und auch für Unternehmen, die sich auf die Vermarktung von Gebärdensprache spezialisierten. Ein besonderer Coup ist insofern dem Wiener Unternehmen Signtime gelungen.

Die Firma hat einem virtuellen Avatar die Gebärdensprache beigebracht. Die Technologie hört auf den Namen Simax und ist in der Lage, mittels Software Texte in Gebärdensprache zu übersetzen. Das Ergebnis ist eine computeranimierte 3-D-Figur, die in den Signtime-Videos von Verkehrsinformationen über Lehrmaterialien bis hin zu emotionalen Botschaften so ziemlich alles vermitteln kann, was von ihr verlangt wird. „Solche Informationen mussten bislang aufwendig in einem Filmstudio mit menschlichen Gebärdendolmetschern durchgeführt werden. Das dauert lang und verursacht hohe Kosten. Mit Simax dagegen lassen sich standardisierte Texte kostengünstig und rasch übersetzen“, sagt Georg Tschare.

Der gebürtige Kärntner leitete schon Jahre zuvor ein Schulungsunternehmen, in dem Gebärdensprache sowohl als Unterrichtssprache als auch als Firmensprache großen Stellenwert hatte. „Die Idee eines 3-D-animierten Gebärdensprachavatars entstand bei einer Preisverleihung für den Sign Language Guide, bei dem Museumsführungen filmisch in Gebärdensprache übersetzt wurden. Bei der Gelegenheit lernte ich einen 3-D-Animateur kennen, gemeinsam arbeiteten wir dann die ersten Konzepte für den Avatar aus“, sagt Tschare.


Von Gehörlosen für Gehörlose. Danach ging alles ganz schnell. Proof of Concept, Feasibility-Studie, FFG-Förderung, Partnersuche. Von der Idee ließen sich unter anderem IBM und das Institut für Anthropologie der Uni Wien überzeugen, außerdem wurde die Gehörlosen-Community stark in die Entwicklung einbezogen. Das ging so weit, dass Tschare zwei gehörlose Personen einstellte und ihnen die Ausbildung zu 3-D-Animatoren ermöglichte. „Wir haben das als notwendig erkannt, weil gehörlose Personen mit den Anfangsergebnissen der Technologie nicht zufrieden waren und höhere Qualität einforderten.“

Seit Entwicklungsstart im Jahr 2011 hat die Simax-Technologie schon einige Praxiseinsätze hinter sich gebracht. So wurden bereits Bürgerinformationen, etwa für die Wiener Gemeinderatswahl, vom Avatar in Gebärdensprache übersetzt. Ebenfalls in dessen Repertoire befinden sich inzwischen Lehrvideos, Schulungsunterlagen und Demos von Spielfilmen, die vor allem für Kinder übersetzt wurden. Dass damit menschlichen Gebärdendolmetschern das Wasser abgegraben wird, befürchtet Tschare nicht: „Am Anfang stand die Angst bei Gehörlosen, dass Gebärdensprachdolmetschungen durch Maschinen ersetzt werden könnten. Inzwischen hat sich aber die Erkenntnis durchgesetzt, dass das nicht der Fall sein wird. Es werden weiterhin Dolmetscher in persönlichen und öffentlichen Settings gebraucht. Liveübersetzungen sind derzeit mit der Avatar-Technologie nicht möglich.“

Stattdessen arbeitet man an einer anderen Weiterentwicklung von Simax, die ein ganz neues Geschäftsfeld eröffnen könnte. Das Unternehmen experimentiert zurzeit mit der Übersetzung von Fernsehwerbung in Gebärdensprache. Noch wird nach Kunden gesucht, die sich für einen „kommunikativen Quantensprung“, so Tschare, begeistern lassen.

Als Belohnung würde mediale Aufmerksamkeit sicher sein, glaubt der Gesellschafter der Firma. Er führt das Unternehmen gemeinsam mit Monika Haider. Vier Mitarbeiter werden zurzeit von dem Duo beschäftigt, sollte sich die Auftragslage erwartungsgemäß entwickeln, wird sich der Beschäftigtenstand auf acht verdoppeln.


Gesetzlicher Rückenwind. Hilfreich dabei werden neue Gesetze zur Behindertengleichstellung sein, die mit 2016 zu greifen beginnen. Mit diesem Rückenwind ausgestattet, hofft Tschare, den Umsatz seines Unternehmens zu verdoppeln. Auch erste Gewinne dürften dann dabei herausschauen, bislang wurde der Cashflow gleich wieder investiert.

Die Aufbauarbeit für die Technologie war mühsam, jede einzelne Gebärde, die der Avatar im Video vorführen kann, musste separat animiert werden. „Derzeit haben wir einen Stückpreis pro animierte Gebärde. Doch einmal animiert, wird diese Gebärde in einem Datenspeicher abgelegt und kann jederzeit wieder verwendet werden. Damit sind die weiteren Aufträge kostengünstiger“, so Tschare.

Sieht man sich die Videos an, bemerkt man keine Spur von der harten Arbeit, die in die Programmierung gesteckt wurde. Die Bewegungen sehen natürlich und flüssig aus und fangen die fast lyrische Ästhetik ein, die der Gebärdensprache zu eigen ist. Auch immer mehr Hörende kommen auf den Geschmack, sich mit den eleganten Handzeichen näher zu beschäftigen.

„Die Gebärde ,I love you‘, eine internationale Gebärde, die weltweit verständlich ist, bedeutet nicht nur ,I love you‘, sondern auch ,Ich mag dich‘. Das haben wir kürzlich animiert und über Facebook verbreitet. Das Video wurde unglaubliche 75.000-mal innerhalb von wenigen Tagen angeklickt“, sagt Monika Haider. Gerade einmal zwei Sekunden dauert der kurze Schlenker mit Hand und gespreizten Fingern, den die animierte Avatar-Dame im Video vorführt.

Das Aussehen des Avatars ist genauso wie der Hintergrund, vor dem er auftritt, flexibel gestaltet. Mal wünscht eine junge schwarzhaarige Frau mit Ohrenschützern vor einem Adventkranz eine schöne Vorweihnachtszeit, mal hat sie einen Hexenhut auf und signalisiert „Happy Halloween“. „Wir haben erkannt, dass wir die Übersetzungsroutinen den jeweiligen Inhalten anpassen müssen. Die Übersetzung einer Störungsmeldung im öffentlichen Verkehr funktioniert völlig anders als die Übersetzung von Lehrmaterial, von Bürgerinformation oder einer sehr emotionalen Botschaft“, erklärt Tschare. Dafür seien Abstriche bei der Effizienz der Videoproduktion zugunsten der Qualität notwendig gewesen. Denn trotz all der Überlegungen, die bei der Entwicklung rund um Kosten- und Zeitersparnis eine Rolle gespielt haben, ist der Faktor Mensch weiterhin unverzichtbar: Signtime beschäftigt neben Animatoren auch Qualitätskontrolleure und Dolmetscher – und hat damit ganz nebenbei „hochwertige Arbeitsplätze für Gehörlose geschaffen“, so Tschare.

Zeitleiste

2011 fiel der Startschuss für die Simax-Technologie, mit der standardisierte Texte in Gebärdensprache übersetzt und von einem computeranimierten Avatar vorgetragen werden können.

Bis heute kam die Technologie bereits bei Lehrvideos, Schulungsunterlagen, Demos von Spielfilmen und bei der Wiener Gemeinderatswahl zum Einsatz.

Künftig will Signtime auch Fernsehwerbungen in Gebärdensprache übersetzen, zurzeit akquiriert man Kunden.

Einführung in die Gebärdensprache

Hierzulande gibt es laut dem Österreichischen Gehörlosenbund (ÖGLB) rund 8000 bis 10.000 gehörlose Menschen, hinzu kommen ca. 300.000 Schwerhörige. Sie können sich aber nicht so einfach mit Gehörlosen aus anderen Ländern unterhalten, da es weltweit unzählige nationale Gebärdensprachen gibt. Dazu kommen regionale Dialekte, Hochsprachen, Umgangssprachen, Jugendsprachen und veraltete Ausdrücke.

Die Österreichische Gebärdensprache (ÖGS) ist seit 2005 als nicht ethnische autochthone Minderheitensprache in der Bundesverfassung verankert.

Die international tätige Community verständigt sich mit dem Esperanto der Gehörlosen, der künstlich erschaffenen International Sign Language, die unter anderem auf Konferenzen oder Flughäfen zum Einsatz kommt. Diese ersetzt jedoch nicht die nationalen Sprachen. Wenn sich beispielsweise ein Schwede und ein Deutscher unterhalten wollen, kommt es wie in der hörenden Welt darauf an, ob sie beide dieselbe Fremdsprache, etwa die American Sign Language, gebärden können.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.12.2015)

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