Die letzten Tage eines großen Rockstars

Lemmy bei seinem letzten Konzert: Berlin, Max Schmeling Halle, 11. Dezember 2015
Lemmy bei seinem letzten Konzert: Berlin, Max Schmeling Halle, 11. Dezember 2015imago/Mauersberger
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Spätestens im November nahm der Zusammenbruch von Motörhead-Sänger Lemmy Kilmister, der am 28. Dezember 70jährig überraschend an Krebs starb, endgültig seinen Lauf. Eine Rekonstruktion, basierend auf Zeugen.

"Fuck!" soll er gesagt haben, nachdem man ihm die überraschende Diagnose von seinem schweren Krebsleiden vorigen Samstag, den 26. Dezember, mitgeteilt hatte. Das schrieb am Mittwoch, zwei Tage nach dem jähen Tod des großen alten englischen Rockers Ian "Lemmy" Kilmister in seiner Wohnung in Los Angeles am Montag, jedenfalls die "Bild"-Zeitung.

Eine Quelle dafür führt die Bild nicht an; der Fluch wäre dem Naturell des nur vier Tage nach seinem 70. Geburtstag (24. Dezember) verstorbenen Gründers, Leadsängers und Bassisten der englischen Rock'n'Roll-Band "Motörhead" allerdings durchaus angemessen gewesen und die Behauptung nicht abwegig. Das Musikmagazin "Rolling Stone" und andere Medien haben am Mittwoch derweil die letzten Wochen Lemmys unter Berufung auf Zeugen, Freunde und Motörhead-Manager Todd Singerman einigermaßen rekonstruiert. Demnach soll es in etwa so gewesen sein:

Lemmy, der sein Leben als Rockmusiker schonungslos durchgepeitscht hatte (massenhaft Alkohol, Zigaretten, Drogen wie Speed, wenig Schlaf, ungesundes, am liebsten kaltes Essen, etc.) war bekanntlich spätestens ab 2013 angeschlagen - immerhin war er nicht mehr der Jüngste und gab es sich dennoch volle Kanne. Als aber Herzprobleme, Diabetes und andere Leiden aufbrachen - er bekam unter anderem einen Defibrillator eingesetzt -, begann er, kürzer zu treten: Zuletzt soll er nur eine Schachtel Zigaretten pro Woche statt wie früher zwei am Tag geraucht haben - und statt mindestens einer Flasche Bourbon mit Cola pro Tag habe er sich "vier bis fünf" Wodkas mit Orangensaft am Tag gegönnt, so der Rolling Stone, ohne indes eine Glasgröße zu nennen. Auf andere Drogen, etwa das früher übliche Speed, soll er im Laufe der 90er verzichtet haben.

Das letzte Konzert, das letzte Lied

Die seit Herbst laufende Tour zum 40jährigen Bestehen von Motörhead war indes holprig verlaufen. Mehrere Konzerte in den USA und Europa wurden abgesagt, verschoben oder abgebrochen - einmal sagte Lemmy dabei, dass er einfach nicht mehr könne, sorry. Das letzte Konzert von Motörhead fand am 11. Dezember in Berlin statt - also just in jenem Land, mit Symbolen einer dessen früherer Epochen sich Lemmy gern gezeigt hatte.

Besucher berichten, es sei dabei ziemlich zugegangen, eigentlich wie immer, aber Kilmister wirkte alt, fahrig, hatte ein eingefallenes Gesicht und sprach vor allem merkwürdig: langsam, schleppend, gezogen, fast lallend. Sieht man sich etwa YouTube-Videos des Gigs wie jenes unten an, merkt man, dass etwas nicht stimmt.

Hier ein Video des letzten Songs des Konzerts: Gespielt wurde "Overkill". Man achte auf Lemmys Sprache und Abschiedsworte. Sehr, sehr traurig.

Am 13. Dezember fand in einem Lokal in Los Angeles, dem "Whisky a Go Go" am Sunset Boulevard in West Hollywood, ein vorgezogenes Geburtstagsfest zu Lemmys baldigem 70er statt. Lemmy lebte seit den 1990ern in der Nähe, zuletzt in einer recht schlichten Zweizimmerwohnung. Ausrichter des Fests war Matt Sorum (55), früher Drummer bei "Guns N' Roses, dazu gesellten sich viele weitere Figuren aus der Rock-Welt, etwa Billy Idol (60), "Metallica"-Schlagzeuger Lars Ulrich (52), der frühere Guns-N'-Roses-Gitarrist Slash (50) und Billy Duffy (54), Gitarrist und Texter bei "The Cult".

Kraftlos beim Geburtstagsfest

Man beachte die Altersangaben: Rock ist mittlerweile eine ziemlich reife Kunstform. Zahlreiche andere Musiker wurden per Videobotschaft zugeschalten, etwa Iggy Pop, Billy Gibbons von "ZZ Top" und Gene Simmons ("Kiss").

Das Whisky a Go Go in L.A., Foto von 2006
Das Whisky a Go Go in L.A., Foto von 2006Mike Dillon/Wikipedia

Lemmy also sah sich die Sache von einem Balkon im Klub aus an, gekleidet in seiner schwarzen Kavalleriejacke und mit Hut. Er wirkte müde, zitterte mit der rechten Hand und benutzte einen Gehstock. Man dachte, die Tournee und der lange Flug von Deutschland her müssten ihm zugesetzt haben. Im Jänner aber sollten die Konzerte weitergehen, im Februar sogar in Linz und Wien.

Doch Lemmy war geschwächt: "Er hat keine Soundchecks mehr gemacht", erzählt Todd Singerman. "Er wollte keine Interviews mehr geben und auch sonst nicht mehr viel tun." Auch dürfte ihm der Tod von Phil "Philthy Animal" Taylor im November mit 61 Jahren, einem früheren und besonders berüchtigten Drummer von Motörhead, sehr zugesetzt haben.

Plötzlich Brustschmerzen

Bei der Show wurde gerockt, junge Frauen verteilten Süßigkeiten und Sexspielzeug ("Motörhead Pleasure Bullet", kann man googeln) und Lemmy wurde wie ein König gefeiert. Man brachte seinen Bass auf die Bühne, aber Lemmy blieb sitzen. Als Matt Sorum fragte, ob alles okay sei, sagte Lemmy: "Oh, it's fucking great."

Zwei Tage später, am 15. Dezember, geht es Lemmy in seiner Wohnung jäh sehr schlecht. Er klagt über Brustschmerzen und wird ins Spital gebracht. Man findet nichts und entlässt ihn am nächsten Tag, aber mittlerweile spricht er sehr unverständlich, ja lallt, worauf Singerman wenig später einen Gehirnscan organisiert, wegen Verdachts auf leichten Schlaganfall. Und dabei sehen die Ärzte sofort eines: Kopf und Nacken sind von Krebsmetastasen massiv befallen, es ist im Endstadium und nicht mehr behandelbar. (Um was für eine Krebsart es sich handelte bzw. wo er seinen Ursprung genommen hatte, wurde indes vorerst nicht bekanntgegeben.)

"Ich will dich nicht verscheissern"

Am 26. Dezember wird Lemmy die Diagnose vorgelegt. Der 70Jährige habe noch höchstens zwei bis sechs Monate zu leben. Er soll laut seinem Manager cool reagiert haben: "Oh, nur zwei Monate, oder?" - "Ja, Lem, ich will dich nicht verscheissern, es ist schlimm und niemand kann mehr etwas tun dagegen. Ich würde lügen wenn ich sagte, es gäbe noch eine Chance", soll der Arzt gesagt haben.

Im Internet sind übrigens Fotos aufgetaucht, die Lemmy an diesen seinen letzten Lebenstagen zeigen. Die beiden folgenden stammen vom 16. Dezember und man kann den heranschleichenden Tod in Lemmys Gesicht erkennen. Eigentlich möchte man das gar nicht sehen, vor allem das zweite drückt einem Wasser in die Augen. Beide entstanden in der Rainbow-Bar in L.A. (siehe weiter  unten), der Mann mit der Lemmy-Maske ist Sebastian Bach (47), ehemaliger Sänger von "Skid Row". Sein Kommentar zu dem auf Twitter geposteten Bild: "You win some, lose some, it's all the same to me", eine Zeile aus dem großen Motörhead-Hit "Ace of Spades" von 1980.

Lemmy, 16. Dezember, Rainbow Bar, L.A.
Lemmy, 16. Dezember, Rainbow Bar, L.A.Facebook/Annie Harvey
Das angeblich letzte Foto von Lemmy, 16. Dezember, Rainbow Bar
Das angeblich letzte Foto von Lemmy, 16. Dezember, Rainbow BarTwitter/Sebastian Bach

Singerman will die Diagnose vorerst geheim halten, aber Lemmy besteht darauf, dass er ein Presse-Statement für die nächsten Tage vorbereiten möge, mit der Wahrheit darin, den Fans zuliebe. Man organisiert zwei Krankenschwestern, die auf Lemmy schauen, stellt starke Schmerzmittel bereit.

Der Besitzer der "Rainbow Bar & Grill", eines anderen Lokals in der Nähe und Lemmys Haupttränke in Hollywood, bringt eine Computerspielkonsole aus dem Lokal vorbei, auf der ein Kartenspiel rennt, mit dem sich Lemmy im Lokal gern beschäftigt hatte. Man ruft die anderen aktuellen Mitglieder von Motörhead an, Gitarrist Phil Campbell (*1961) und Drummer Mikkey Dee (*1963), den Schweden griechischer Abstimmung. Die beiden sollen sich hurtig auf die Socken machen und nach L.A. fliegen.

Rainbow Bar & Grill, L.A., ebenfalls 2006
Rainbow Bar & Grill, L.A., ebenfalls 2006Mike Dillon/Wikipedia

Am Montag, 28. Dezember, schaut in der Früh ein Doktor bei Lemmy vorbei. Später am Tag soll Ozzy Osbourne ("Black Sabbath") kommen, der wilde bis bizarre Rock-Hund ist auch schon 67. Lemmy spielt mit der Konsole, trinkt Wodka-Orange und isst ein Joghurt. Eine Freundin und (angeblich) auch sein Sohn Paul sind da, der ist auch schon bald 50.

Und dann schlief er einfach ein

Am Nachmittag, laut "Bild" gegen 14.30 Uhr Ortszeit, vielleicht auch früher, kommt Rainbow-Bar-Besitzer Mikael Maglieri auf einen Sprung vorbei. Lemmy hockt auf der Couch, müde, schaut auf den Bildschirm. Er lehnt sich zurück, macht die Augen zu, als wolle er ein Nickerchen machen. Und wacht nicht mehr auf. Maglieri ruft Singerman an: "Mein Gott, er ist gerade einfach so vor mir gestorben!"

Im Nachhinein, so Singerman, sei es unglaublich, dass der Krebs, der sicher nicht erst vor ein paar Wochen ausgebrochen war, nicht bei einer der zahlreichen Spitals- und Arztbesuche Lemmys in den vergangenen Jahren inklusive Durchleuchtungen und Blutabnahmen entdeckt worden sei. "Das kam als Riesenschock daher."

"Eine ,Rocky'-Story"

Singerman hebt im Rolling Stone zu einer letzten Lobesfanfare für den großen Rocker an, einen der letzten "Echten", der nichts von Schnickschnack, Schick-Schock, Effekten oder Ami-Poser-College-Rock hielt: "Man muss sich das vorstellen wieviel Energie und welche Eier es gebraucht haben muss, diese letzten Shows noch vor wenigen Wochen durchzuziehen und erst dann umzufallen. Das ist für mich eine ,Rocky'-Story. Das ist wahre Tapferkeit. Er war sterbend. Er wusste es nicht, aber sein Körper muss es gefühlt haben. Er hatte keine Kraft mehr."

Motörhead-Schlagzeuger Mikkey Dee gab unterdessen die Auflösung der Band bekannt. „Es wird keine weiteren Touren und Alben geben." Das kam nicht unerwartet: Lemmy hatte vor vielen Jahren in einem Interview gesagt, dass die Band nach seinem Tod passé sein werde, unter anderem, weil nur er die passende Stimme dafür habe. Da hatte er wohl Recht.

Wir wollen Lemmy so in Erinnerung haben
Wir wollen Lemmy so in Erinnerung habenMike Everly/Facebook

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