Wolfgang Brandstetter: Vom Schüchternen zum Visionär

Wolfgang Brandstetter gab zuletzt lautere Töne von sich.
Wolfgang Brandstetter gab zuletzt lautere Töne von sich.(c) APA/BARBARA GINDL
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Wolfgang Brandstetter ist politischer geworden. Einst mit Wortspenden sehr zurückhaltend, bringt er nun Ideen zur Hofburg und zur EU ein. Reformen ging er an, wenn auch einige strittig sind.

Wien. Wolfgang Brandstetter fordert ein einheitliches Asylrecht in der EU. Brandstetter fordert, dass Bundespräsidenten auch nach dem Ende ihrer Amtsperiode Österreich repräsentieren dürfen. Wenngleich vor allem der letztere Vorschlag umstritten ist (siehe dazu auch das unten stehende Interview mit Salzburgs Landeshauptmann, Wilfried Haslauer), zeigen sie eines: Der Justizminister ist mutig geworden.

Das war nicht immer so. Als Brandstetter das Amt antrat, wirkte der frühere Strafverteidiger und Universitätsprofessor zunächst, als wäre er ein Minister ohne Meinung. Selbst bei Fragen, die sein eigenes Ressort betreffen, verwies er damals immer wieder auf die Meinungsbildung im Parlament, die er als Minister nur umzusetzen habe. Und gerne ließ Brandstetter seine Sektionschefs auf Fragen antworten, statt selbst Stellung zu beziehen.

Die jüngsten Initiativen Brandstetters ließen zuletzt sogar Gerüchte laut werden, er könnte als rot-schwarzer Kandidat für das Bundespräsidentenamt aufgestellt werden. Was Brandstetter dementiert. Tatsächlich dürfte das Amt in der Hofburg für den politischen Quereinsteiger aus dem Waldviertel eine Nummer zu groß sein. Im Justizbereich gelang es Brandstetter aber, so etwas wie Ruhe hineinzubekommen. Die in den vergangenen Jahren viel gescholtene Justiz, der vorgeworfen wurde, Verfahren zu lange zu führen und Mächtige zu schonen, ist aus dem ärgsten Kreuzfeuer der Kritik heraußen. Der 58-jährige Niederösterreicher hat mit seiner ruhigen Art, mit der er das Ministerium nach außen repräsentiert, seinen Teil dazu beigetragen.

Zu wenig Weise gefunden

Das heiße nicht, dass Brandstetter auch nach innen immer so ruhig auftritt, konstatieren Insider. Und es heiße nicht, dass jede Reform des Ministeriums gelungen ist. Das Mandatsverfahren, durch das Richter über den Postweg nun auch bedingte Haftstrafen verhängen können, erwies sich eher als Rohrkrepierer.

Die wenigsten Richter wollen Leute verurteilen, ohne sie vorher überhaupt gesichtet zu haben. Allerdings ersparte das Mandatsverfahren gerade erst einer Mutter, die ihr Kind verlor, einen Prozess. Die Frau hatte sich der fahrlässigen Tötung schuldig gemacht, weil sie den Kinderwagen ungesichert am Bahnsteig stehen ließ und der Wagen vor einen nahenden Zug fiel.

Der ab 2016 formell eingerichtete, dreiköpfige Weisenrat (nunmehr Weisungsrat getauft) läuft auch mit Startschwierigkeiten an. Es bewarben sich nicht genug Leute, sodass der Bundespräsident nicht wie geplant aus einer Liste auswählen kann. Er könnte wegen der geringen Bewerberzahl nur entscheiden, wer einen fixen Platz erhält und wer Stellvertreter wird.

Zudem gibt der Justizminister das Weisungsrecht über Staatsanwälte nicht – wie von Justizvertretern gefordert – ganz ab. Das Gremium hat nur eine beratende Funktion. Ziel ist es, die Mutmaßung zu beseitigen, dass der Minister bei der Staatsanwaltschaft politisch mitredet. Ob die Furcht zerstreut werden kann, muss sich noch weisen.

Strafrecht modernisiert

Beschlossen wurde unter Brandstetters Ägide die ab 2016 geltende Reform des Strafgesetzbuches. Die lange vorbereitete Novelle sieht nun tendenziell geringere Strafen bei Eigentumsdelikten und strengere bei Körperverletzungen vor. Die Reform modernisiert das Strafrecht durch neue Delikte wie etwa Cyber-Mobbing. Sie ist aber nicht die Komplettreform, die sich manche Juristen gewünscht hatten.

Auf Schiene ist auch die Erbrechtsreform, die ab 2017 gelten wird. Sie soll dazu beitragen, dass Firmen nicht so leicht nach dem Tod des Inhabers gefährdet werden. Die Person, die das Unternehmen erbt, bekommt länger Zeit, anderen Erbberechtigten deren Pflichtteil auszuhändigen. Zudem wird erstmals Lebensgefährten ein Erbrecht eingeräumt, wenn es sonst keine Erben gäbe.

Reformiert wird per Jahreswechsel auch das Jugendgerichtsgesetz. Es soll verstärkt Alternativen zur Haft aufzeigen und insbesondere die Untersuchungshaft bei Jugendlichen zurückdrängen. Viele Jugendregelungen gelten nun für Personen bis 21 Jahren. Umstritten ist freilich, dass die Höchststrafe für Jugendtäter künftig selbst bei Kapitalverbrechen wie Mord nie mehr als 15 Jahre Haft betragen darf.

Kritik aus der Justiz

In der Justiz, in der der Minister bisher ein gutes Ansehen genoss, kam es zuletzt zu manch Misstönen. Immer wieder würden Posten unter Missachtung der Vorschläge des Personalsenats nicht nach Qualifikation, sondern nach „anderen Interessen“ besetzt, rügte die Richtervereinigung. Was Brandstetter bestritt. Die Anwälte wiederum beanstandeten „Brandstetters Unkenntnis“, weil er erklärt hatte, den Anwaltstarif nicht ohne den Nationalrat anheben zu können. Aus Protest stellten die Anwälte zwischenzeitlich die kostenlose Erstberatung ein. Schließlich konnten sich Minister und Anwälte aber doch noch einigen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.12.2015)

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