Nach der Verabschiedung der umstrittenen Medienreform will die EU-Kommission über den Rechtsstaat in Polen diskutieren und das Land notfalls unter Aufsicht stellen.
Warschau. „Wer nicht hüpft, ist für Duda“, skandierten in der westpolnischen Wirtschaftsmetropole Poznań 2000 Demonstranten. Aufgerufen von der lokalen Bürgeraktion Wächter der Demokratie protestierten sie am Wochenende gegen den rechtsnationalen Staatspräsidenten Andrzej Duda, der jedes noch so umstrittene Gesetz unterschreibt, das sich Polens graue Eminenz Jarosław Kaczyński wünscht.
Nun allerdings scheint der Chef der polnischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) zu weit gegangen zu sein. Nachdem das von seiner Partei kontrollierte Parlament am Silvesterabend ein äußerst umstrittenes neues Mediengesetz durchgewinkt hat, will der für die Pressefreiheit zuständige EU-Kommissar, Günther Oettinger, die Notbremse ziehen.
„Es spricht vieles dafür, dass wir jetzt den Rechtsstaatsmechanismus aktivieren und Warschau unter Aufsicht stellen“, sagte Oettinger der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Der Fall Polen soll nun bei der Kommissionssitzung am 13. Jänner diskutiert werden. Am Ende könnte der Regierung in Warschau der Entzug von Stimmrechten auf EU-Ebene drohen.
Unter PiS-Kontrolle
Zuvor hatte am Wochenende bereits der EVP-Fraktionschef im Europaparlament, Manfred Weber, der PiS-Regierung vorgeworfen, sie stelle „zentrale europäische Prinzipien und Werte zur Debatte“.
Polens neues Mediengesetz sieht die sofortige Säuberung der Chefetagen sowie die Umwandlung des bisher öffentlich-rechtlichen polnischen Radios und Fernsehens in „nationale Kulturinstitute“ vor. Die Intendanten werden demnach künftig vom Schatzminister ernannt und können jederzeit, ohne Nennung von Gründen, wieder abberufen werden. Auch die bisher zwar staatliche, doch unparteiische Presseagentur PAP kommt nun unter die Knute der PiS-Regierung.
Sämtliche Fernsehchefs haben bereits in der Nacht auf Samstag unter Protest ihre Kündigung eingereicht. Damit kommen sie der PiS zuvor, die ihnen in den vergangenen Tagen immer wieder „tendenziöse“ – weil regierungskritische – Berichterstattung vorgeworfen hat. Als neuer Chef des Polnischen Staatsfernsehens TVP wird der antideutsche Danziger Rechtsaußenpolitiker Jacek Kurski gehandelt.
Seitdem die PiS bei den Wahlen Ende Oktober die absolute Mehrheit in beiden polnischen Parlamentskammern errungen hat, peitscht sie im Eiltempo eine Reihe umstrittener Gesetze durch, die den Staat reformieren sollen. Die wichtigste Gesetzesnovelle schaltete kurz vor Weihnachten das alte Verfassungsgericht als Hüterin der Demokratie aus. In einer Sondersitzung wurden zwischen Weihnachten und Neujahr Gesetze gemacht, die es erleichtern, die öffentlich-rechtlichen Medien und den Beamtenapparat auf Linie zu bringen.
Vor allem das neue Mediengesetz hat scharfe Kritik ausgelöst. Viele sehen die Pressefreiheit in Gefahr. Allerdings ist Kaczyńskis Polen nicht Wladimir Putins Russland. Polen verfügt über mehrere starke Privatfernsehsender, -radios und -verlage. Dorthin werden die entlassenen Journalisten abwandern. Viele von ihnen haben sich gleich nach den Wahlen nach neuen Posten umgesehen. Denn bisher hat noch jede neue Regierungsmannschaft in Polen zumindest die Chefetagen mit eigenen Gewährsleuten besetzt. Neu sind bei der PiS nur das Tempo und der moralische Eifer, mit dem dieser Wechsel vollzogen wird.
Die PiS hat indes bereits einen zweiten Teil ihres Mediengesetzes in Arbeit. Es zielt darauf ab, auch inhaltliche Vorschriften zu verankern, zum Beispiel mehr Patriotismus, sowie ein neues Finanzierungsmodell zu finden. TV-Werbung soll entgegen ersten Plänen weiterhin erlaubt sein. In einem dritten Schritt sollen später auch bisher private Medienhäuser verstaatlicht werden können, um die von der PiS kritisierte deutsche Mediendominanz in Polen zu brechen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.01.2016)