„Louder Than Bombs“: Im Leisen steckt der große Krach

Der Freitod der Mutter (Isabelle Huppert) hinterlässt ein Loch im Leben des Teenagers Conrad (Devin Druid) und seiner Familie.
Der Freitod der Mutter (Isabelle Huppert) hinterlässt ein Loch im Leben des Teenagers Conrad (Devin Druid) und seiner Familie.(c) Stadtkino
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Film. Der Norweger Joachim Trier schuf mit „Louder Than Bombs“ ein feinfühliges Familiendrama, in dem aus kleinen Missverständnissen große Lügen werden.

Es ist ein unscheinbar schöner Filmbeginn, als würde man mittendrin einsteigen, als wären einem diese Figuren schon lange vertraut. Ein junges Ehepaar im Krankenhaus, kurz nach der Geburt, scheinbar glücklich. Der Mann (Jesse Eisenberg) will seiner Frau etwas zu essen holen, trifft im Flur zufällig eine alte Flamme, deren Mutter soeben einem Krebsleiden erlegen ist, man tauscht sich aus, und ganz wie von selbst wird aus einem kleinen Missverständnis eine große Lüge. Es ist der erste Ton eines Leitmotivs: Um mangelnde Aufrichtigkeit und deren Folgen für familiäre Beziehungen geht es auch im weiteren Verlauf von Joachim Triers fragmentiertem Ensemblefilm „Louder Than Bombs“, einem der besseren Beiträge zum vergangenen Cannes-Wettbewerb.

Der Norweger Trier (zum Namensvetter Lars von Trier besteht keinerlei Verwandtschaft) debütierte 2006 erfolgreich mit „Reprise“, einer etwas zu verspielten Coming-of-Age-Geschichte über junge Schriftsteller. 2011 folgte mit „Oslo, 31. August“ ein Quantensprung: Die reife, feinfühlige Charakterstudie über den letzten Tag eines Weltverweigerers stellte Triers Schauspielführungstalent unter Beweis. Nun versucht er sich mit großen Namen auf dem internationalen Parkett.

„Louder Than Bombs“ (der Titel spielt auf ein Kompilationsalbum der Smiths an) verschränkt geschickt die verschiedenen Sichtweisen in einer windschiefen Familienkonstellation: Die ehemalige Kriegsfotografin Isabelle Reed (Isabelle Huppert) ist mit dem Wagen gegen einen Lkw gerast und hat im Leben ihres Mannes Gene (Gabriel Byrne) und seiner beiden Söhne Jonah und Conrad (Jesse Eisenberg und Devin Druid) ein Loch hinterlassen, in das man stolpern könnte, wenn es nicht geflickt wird. Conrad, ein introvertierter Teenager, hält den Freitod seiner Mutter drei Jahre danach immer noch für einen Unfall. Er hat sich in seine eigene Welt verkrochen, zockt in Online-Rollenspielen und verschließt sich gegen die Annäherungsversuche seines hilflosen Vaters. Wenn dieser mit ihm reden will, zieht er sich aus Protest einen Plastiksack über den Kopf. Als der frischgebackene Vater und College-Professor Jonah zu Besuch kommt, um bei der Bildselektion für eine posthume Fotoausstellung seiner Mutter zu helfen, sickert Vergangenes ins Gegenwärtige, und die Hinterbliebenen müssen ihre angeknacksten Beziehungen neu austarieren.

Im Perspektivenkarussell

Die Grundelemente des Familiendramas erinnern an Genreklassiker wie Ang Lees „Eissturm“, doch das Besondere an Triers Zugang ist seine Sensibilität für die unterschiedlichen Blickwinkel seiner Figuren. In einer der ersten Szenen folgt Gene seinem jüngeren Sohn Josh heimlich nach der Schule mit dem Auto und beobachtet aus der Ferne besorgt dessen erratisches Verhalten. Später sehen wir das Ganze noch einmal aus der Sicht des Jungen, und siehe da: Jede noch so seltsame Geste hatte für ihn eine klare, nahezu magische Bedeutung. Neben dem Perspektivenkarussell wird auch die Innenschau in „Louder Than Bombs“ zur intimen Erzähltechnik: Träume, Erinnerungen und Fantasien der Figuren sprießen wie Blumen im narrativen Fluss, das Bild der verstorbenen Mutter und die Gründe für ihre fatale Entscheidung muss man aus Gedächtnissplittern zusammenstückeln.

Manche der Traumsequenzen und Fantasievisionen sind aufwendige Kabinettstücke, aber dort, wo es zählt, bleibt Trier subtil: Kurze Unaufmerksamkeiten können den Zuschauer große Enthüllungen kosten. Ähnlich verhält es sich mit dem durch die Bank hervorragenden Schauspiel, die Geheimnisse der Seele stecken hier im Detail. Problematisch wird es nur gegen Ende: Da versucht Trier, die Knoten seines komplexen Beziehungsgeflechts pointensicher aufzulösen, und die Drehbuchseiten beginnen zu rascheln – nicht zuletzt, weil sich der schwere Überbau der Kriegsfotografie-Thematik mit dem kleinteiligen bürgerlichen Drama schneidet. Dennoch ist „Louder Than Bombs“ ein Film, der eine zweite Sichtung rechtfertigt: Das Leise wird erst laut, wenn man genau hinhört.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.01.2016)

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