Der neue Machtkampf: Die Ost-EU will die West-EU zu Reformen zwingen

Auch Orbán (r.) beriet am Donnerstag mit Cameron (l.)mögliche EU-Reformen.
Auch Orbán (r.) beriet am Donnerstag mit Cameron (l.)mögliche EU-Reformen.(c) REUTERS (LASZLO BALOGH)
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Die neue polnische Regierung und Ungarns Führung sehen eine „historische Chance“, zusammen mit Großbritannien „weniger Europa“ und eine Rückkehr zum Nationalstaat durchzusetzen.

Budapest. Budapests Innenstadt war am Donnerstag weiträumig für den Verkehr gesperrt: Der britische Premier, David Cameron, war zu Gast. Ungarns Regierungschef, Viktor Orbán, war tags zuvor überraschend nach Polen geeilt, um sich dort „privat“ mit Jarosław Kaczyński zu beraten, dem Chef der seit Kurzem regierenden rechtskonservativen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS).

„Eigentlich stehen wir der PO (Bürgerplattform) näher“, hatte ein ungarisches Regierungsmitglied kurz vor den polnischen Wahlen gesagt – bei denen die bis dahin regierende PO die Macht verlor. „Aber die PiS mag uns mehr.“ So trafen sich Orbán und Kaczyński denn auch wie alte Freunde. Das Gespräch dauerte sechs Stunden und diente wohl vor allem der Vorbereitung des Budapester Treffens mit Cameron. Der Inhalt blieb geheim. „Wichtige Entscheidungen stehen an“, sagte eine Quelle im ungarischen Außenministerium lediglich.

Tatsache ist, dass Polens neue Regierung den Staat im Eiltempo nach Ungarns Vorbild umbauen möchte: Stärker an die Regierung gebundene Staatsmedien, Schwächung des Verfassungsgerichts – und das ist erst der Anfang. Es wird über Steuern nachgedacht, die gezielt multinationale Dienstleistungskonzerne treffen würden, etwa Banken und internationale Super- oder Baumarktketten. All das kennt man aus Ungarn bereits.

In der EU scheint man mittlerweile gewillt, den polnischen Sonderweg mit schwerem Geschütz unter Beschuss zu nehmen, um eine weitere Ausbreitung des Orbán-Modells zu verhindern. Am 13. Jänner will die EU-Kommission über Polen beraten, um festzustellen, ob das Land gegen rechtsstaatliche Grundwerte verstößt. Nach umstrittenen Reformen des Verfassungsgerichts und einem neuen Mediengesetz will die EU-Kommission mögliche Gefahren für den Rechtsstaat überprüfen. „Wir beginnen eine Prozedur, die wir 2014 erfunden haben“, sagte EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker am Donnerstag in Amsterdam.

Genauso entschlossen sind allerdings Polen und Ungarn, gemeinsam mit anderen östlichen EU-Ländern den Machtkampf mit Brüssel zu suchen und zu gewinnen. Ein Schlüssel dazu sind David Cameron und sein Feldzug, die EU zu Reformen und mehr Freiheiten für den Nationalstaat zu zwingen. „Eine historische Chance für die Mitteleuropäer“ sieht der konservative polnische Publizist und Orbán-Biograf Igor Janke. Die West-EU sei durch vielschichtige Krisen geschwächt – Eurokrise, Flüchtlingskrise, Brexit. Diese Krisen machen seiner Ansicht nach eine Umgestaltung der EU unvermeidlich. Die relative Schwächung der Westeuropäer eröffne dabei den Osteuropäern eine Möglichkeit, entscheidend Einfluss zu nehmen.

Das Ziel: „Weniger Europa“. Die EU, so heißt es in Budapester Regierungskreisen, soll wieder mehr eine wirtschaftliche Interessengemeinschaft und weniger eine „Wertegemeinschaft“ werden. Voraussetzung sei eine enge Kooperation der sogenannten Visegrad-Länder (Polen, Ungarn, Tschechien, die Slowakei) sowie mit Rumänien und den baltischen Staaten. Zusammen hätten sie gegenüber einem geschwächten Westen zunehmend Gewicht. In der Flüchtlingskrise hatte sich Rumänien bereits auf die Seite der Visegrad-Länder gestellt, die eine Verteilung von Asylbewerbern ablehnten. „Wenn die Mitteleuropäer zusammenhalten, können sie mit Cameron die EU ändern“, meint auch Janke.

Mehr Macht für nationale Parlamente

Von den Themen, über die Cameron und Orbán sprechen wollten, sind zwei ganz im Sinne der osteuropäischen Länder: Die Einführung eines Vetorechts der nationalen Parlamente gegen EU-Entscheidungen und die Pflicht für EU-Mitglieder, irgendwann den Euro als Währung zu übernehmen. Es gibt ein Thema, das sie strikt ablehnen: Cameron will Sozialleistungen für Migranten aus Osteuropa einschränken. Bálint Ablonczy, Politik-Chef des Budapester Nachrichtenmagazins „Heti Válasz“, hält es für möglich, dass Orbán von Cameron auch Schützenhilfe gegen EU-Pläne einer Umverteilung von Flüchtlingen fordert. Für England gilt sowieso eine Ausnahmeregel, aber Londons politischer Beistand wäre dennoch wichtig.

Erstmals in der Geschichte der EU werden deren neue Mitglieder im Osten zu einem Machtfaktor. In Berlin, Paris und Brüssel muss man nun überlegen, ob man das mit Macht bekämpft – oder zurücksteckt. Juncker sagte am Donnerstag, er erwarte nicht, dass wegen Polen der Artikel sieben des EU-Vertrags angewendet werde. Das kann passieren, wenn ein Staat die Werte der EU in schwerwiegender Weise verletzt. „Wir brauchen freundliche und gute Beziehungen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.01.2016)

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