Warum Pröll Dank gebührt, dass er kein Kandidat für die Hofburg ist

Gut, dass der niederösterreichische Landeshauptmann sein – für ihn im Land erfolgreiches – System der „gelenkten Demokratie“ nicht ausdehnen will.

Vor mehr als 20 Jahren hatte ein Kollege in der „Presse“ gewagt, in einem Kurzkommentar Redlichkeit und Segen der Personalpolitik des niederösterreichischen Landeshauptmanns in Zweifel zu ziehen. Ihm wurde darauf hin bedeutet, er sei bei der Pressekonferenz Erwin Prölls unerwünscht. Eine bis dahin einmalige Vorgangsweise eines Politikers.

Mit dieser Episode lässt sich einer der Gründe beschreiben, weshalb man Erwin Pröll so richtig dankbar sein muss, dass er sich aus dem Wettbewerb um das höchste Amt im Staat herausgenommen hat. Denn als es 1995 zu dem oben beschriebenen Eklat kam, war Pröll erst drei Jahre im Amt.

Seither hat er sein System von politischer, wirtschaftlicher und persönlicher Belohnung und Bestrafung, von Gunstbezeugung und Einschüchterung so weit verfeinert, dass sich in Niederösterreich manche gar kein anderes mehr vorstellen können. In der Präsidentschaftskanzlei aber wäre diese Form der „gelenkten Demokratie“ mehr als problematisch. Dank dafür, dass Pröll sie der gesamten Republik erspart.

Dankbarkeit ist auch angebracht, weil etwaige cholerische Anfälle kein Bundesthema sein werden. Es wäre schon schlimm genug gewesen, sich im Wahlkampf immer wieder den Videoclip von vor 20 Jahren ansehen zu müssen, in dem Pröll mit sich überschlagender Stimme einen Priester vor Publikum sprichwörtlich zu Sau gemacht hat. Die Vorstellung, der Phantomschmerz der verlorenen Bedeutung könnte bei Pröll zu ähnlichen An- und Ausfällen als Präsident führen, war eher unerträglich. Denn eine Garantie, dass er den realen Machtverlust nicht genervt mit unverhältnismäßig polternder Einmischung in die Tagespolitik kompensieren würde, hätte es nicht gegeben. Wer gewohnt ist, dass alle nach seiner Pfeife tanzen, kann auf diese nicht von einem (Wahl-)Tag auf den anderen verzichten. Durch den Verzicht auf die Kandidatur werden wir wenigstens nicht Zeugen von Entzugserscheinungen.

Zu Dank verpflichtet sollte man Pröll jetzt auch für einige Erkenntnisse der vergangenen Tage und Wochen sein. Da ist vor allem die Einsicht, wie sinnlos das mediale und politische Namedropping ist; um wie viel vernünftiger es ist, Zeit und Energie der Behandlung von Sachfragen zu widmen, statt sich in personalpolitischen Spekulationen zu ergehen, die von einer Interviewminute auf die andere Makulatur sind.

Die wichtigste Lehre aber betrifft des Kaisers neue Kleider: Wie in Christian Andersens Märchen stellt sich nämlich jetzt heraus, dass Pröll für die ÖVP außerhalb seines Bundeslandes nicht den geringsten positiven Einfluss hat. Jahrzehntelang haben viele in der ÖVP und alle in seiner Umgebung ihm vorgegaukelt, er hätte jene neuen Kleider, die ihn zum eigentlich starken Mann in der Bundespartei machen.

Diese Illusion war – wie im Märchen – nur durch Devotheit, Bereitwilligkeit zur Unterwerfung und unkritische Distanz all jener aufrechtzuerhalten, die von ihm und seinem System profitierten. Auch von diesem Illusionstransfer von St. Pölten nach Wien bleiben wir verschont.

Es wäre angeraten, sich das nächste Mal zu überlegen, was denn an der Legende des überragenden Einflusses einer Einzelperson auf eine Partei nicht stimmen kann. Wenn Pröll in der Bundespartei so mächtig war, warum hat er dann deren Talfahrt auf 24 Prozent nicht gestoppt? Weil ihm die Welt außerhalb seines landesbegrenzten Machtgebiets gleichgültig ist? Danke, dass er weiß, „wohin er gehört“.

Damit verbunden aber ist auch eine wertvolle Erkenntnis – wichtiger für die ÖVP als für den Rest des Landes: Vor angeblich starken Parteifreunden sollte man auf der Hut sein. Wie sich nämlich jetzt zeigt, kann dieser schnell auch zum Totengräber der ÖVP werden.

Das Schlimmste in der Politik ist, sich lächerlich zu machen. Das ist der ÖVP in den vergangenen Tagen grandios gelungen. Sie kann sich bei Pröll bedanken.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Anneliese Rohrer
ist Journalistin in Wien: Reality Check http://diepresse. com/blog/rohrer

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.01.2016)

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