Wo Amerikas IT-Riesen ihre Zukunft sehen

Die großen Technologiekonzerne müssen sich laufend neu erfinden, um groß zu bleiben.
Die großen Technologiekonzerne müssen sich laufend neu erfinden, um groß zu bleiben.APA
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Der Facebook-Gründer programmiert jetzt Roboter. Warum können Technologiekonzerne nie bei dem bleiben, worin sie heute stark sind?

Marc Zuckerberg hat sich für das neue Jahr viel vorgenommen. Der Facebook-Gründer will endlich wieder selbst programmieren, wenn auch nur für den Hausgebrauch. Das hält geistig fit, wie das Erlernen von Mandarin und das Lesen zweier Bücher pro Monat. Diese löblichen Vorsätze stammen von früheren Jahreswechseln. Auch sie hatte der Goldjunge der Weltöffentlichkeit stolz kundgetan – über Facebook, versteht sich. Man mag sich wundern, warum so viele Medien solche Nullmeldungen aus dem Privatleben eines Promis verbreiten. Aber in diesem Fall steckt doch mehr dahinter.

Zuckerberg will sich nämlich einen digitalen Butler programmieren, der alles Elektronische in seinem Haus kontrolliert – Licht, Temperatur, Musik. Zudem soll die schlaue Maschine vertraute Stimmen oder Gesichter erkennen und danach handeln – also etwa nur Freunden die Tür öffnen. Die Spielereien zeigen an, in welche Richtung seine Firma marschiert: künstliche Intelligenz und das „Internet der Dinge“, wo Sensoren und Geräte des Alltags unermüdlich Daten sammeln und vom Smartphone auswerten lassen. Als soziales Netzwerk ist Facebook groß geworden. Aber die Strategien reichen, wie man sieht, in ganz andere Sphären.

So läuft es auch bei den anderen Technologiegiganten: Alle suchen ihre Zukunft in Vernetzung, Datenwolken und Robotik. Google will keine Suchmaschine mehr sein, Amazon kein Versandhändler, IBM hat die Großrechner fast schon hinter sich. Die unternehmerische Tugend, sich besser auf das Kerngeschäft zu konzentrieren, bei dem man sich auskennt, gilt in der Tech-Welt als gefährliches Laster.

Nicht ohne Grund: Auch geniale Ideen haben hier oft ein rasches Ablaufdatum. Ob Nokia, Blackberry oder StudiVZ: Auf märchenhaften Aufstieg folgte der brutale Absturz. Also müssen sich die Großen laufend neu erfinden, um groß zu bleiben. Aktuell rennen alle in die gleiche Richtung, um sich ein Stück vom noch nicht gebackenen Kuchen zu sichern. Wo Kompetenz fehlt, kaufen sie wie wild zu. Auch Programmierer Zuckerberg fängt nicht von null an: Er besorgt sich gebrauchsfertige Software und baut darauf auf.

Facebooks Geschäftsmodell war freilich nie fest gefügt. Vor vier Jahren noch stand die wirtschaftliche Zukunft dieser Weltmacht der Kommunikation auf tönernen Füßen, weil die Nutzer keine Werbung akzeptieren wollten. Heute liegt das Potenzial klar auf der Hand: Big Data. Das Wissen über private Vorlieben der User lässt sich teuer an Werber verkaufen. Zwar ist Facebooks Erfolg ständig von den juvenilen Launen seiner primären Zielgruppe bedroht. Aber die Kriegskasse ist groß genug, um modische Konkurrenten wie WhatsApp und Instagram locker zu schlucken. Weiter vom Ursprung fort führen Datenbrillen und Geldtransfer per Mausklick. Doch dahinter steht immer die Jagd auf lukrative Informationen über unser Verhalten.

Google bläst noch viel konsequenter zu dieser Jagd. Zwar macht der Konzern das Gros seiner Umsätze weiter mit Werbung, die an die Suchmaschine gekoppelt ist. Aber die Zahl der Konkurrenten auf dem Werbemarkt steigt, die Klickpreise fallen. Also müssen neue Wachstumstreiber her. Die Anläufe mögen wie planloser Aktivismus wirken: das Betriebssystem Android. Die offene SIM-Karte und der Mobilfunk. Der gegen Apple gerichtete Play Store, in dem man Musik und Filme kaufen kann. Eine US-Lizenz als Internet-Provider. Dazu Stromerzeugung, Heißluftballone und Kontaktlinsen. Aber hinter dem scheinbaren Chaos steckt System. In den anfangs halb geheimen X Labs hecken schlaue Menschen die neuen Geschäftsfelder aus. Bei manchen ist die Stoßrichtung ganz klar. Wenn Google etwa den US-Marktführer für Thermostat-Fernsteuerung kauft, ist der vernetzte Haushalt im Visier. Wenn das selbst fahrende Google Car den Automarkt aufmischt, geht es um die höchst ergiebige Datenquelle des künftigen „Computers auf Rädern“. Viel näher am Kern liegt für den kalifornischen Konzern die künstliche Intelligenz: Jede komplexe Suche in Frageform gehört schon dazu. Sehr weit ist das hauseigene System namens RankBrain aber noch nicht: Erst bei 15 Prozent aller Suchanfragen hilft es weiter.

Amazon ist auf sein Geschäftsmodell der Zukunft fast zufällig gestoßen. Als weltgrößter Versandhändler wird man zwar berühmt, aber nicht unbedingt reich: Erst nach sieben Jahren und drei Milliarden Dollar an Verlusten kam das 1995 gegründete Onlinekaufhaus erstmals in die Gewinnzone. Wo es nicht auf Dauer blieb: In den beiden vergangenen Jahren strapazierte Chef Jeff Bezos die Geduld der Anleger wieder mit tiefroten Zahlen wegen „notwendigen“ Fehlinvestitionen wie dem Smartphone-Flop. Dabei ist er doch längst auf eine Goldader gestoßen: die Datenwolke. Das Handeln im Netz erfordert riesige Speicher- und Rechenkapazität, weit mehr als im Serverraum jeder traditionellen Firma. Amazon begann schon früh, diese Kapazitäten an Entwickler und frisch gegründete Unternehmen zu vermieten, wobei der Zugang über das Internet läuft. Manche dieser Start-ups, wie Netflix oder Airbnb, wurden bald sehr groß.Das Business begann zu boomen.

Freilich stürzen sich auch die anderen IT-Riesen auf das Cloud Computing. Aber Amazon Web Services hat mit 27 Prozent Marktanteil einen komfortablen Vorsprung – der sich fast von selbst ausweitet: Wer mehr Kunden hat, kann sich mehr Server leisten. Das verschafft Größenvorteile, bessere Produkte zu niedrigeren Preisen, was wiederum neue Kunden anlockt. Einmal an der Angel, sollen sie künftig auch anspruchsvolle Software kaufen. In zehn Jahren könnte der Buchversand so zum größten Anbieter für Unternehmenssoftware aufsteigen.

Microsoft hört dabei die Alarmglocken läuten. Der Gigant für Büroprogramme sieht die Bedrohung nun als Chance und drängt seinerseits in die Wolke – als Nummer zwei mit 16 Prozent Anteil. Der Vorteil: Mit den Kunden gibt es schon Kontrakte und lange Beziehungen. Das gilt auch für die Nummer drei: IBM – ein Kapitel für sich.

IBM
steht mit dem Rücken zur Wand: Als Anbieter für Software und Beratung im Großkundengeschäft ist der einstige Büromaschinengigant zwar weiterhin eines der größten IT-Unternehmen weltweit. Aber auch wenn die New Yorker wichtige Kapitel der Computergeschichte eigenhändig geschrieben haben: Die Dynamik ist dahin. Seit viereinhalb Jahren schrumpfen die Umsätze und sinkt der Kurs der Aktie.

Alle Hoffnungen ruhen nun auf Watson. Das ist kein Topmanager, sondern ein Superrechner mit einer angeschlossenen semantischen Suchmaschine. Dieses Wunderwerk an künstlicher Intelligenz hat schon in einer Quizsendung gegen menschliche Kandidaten brilliert und hilft nun etwa Versicherern beim Sichten und Ordnen ihrer Reklamationsfälle.

Watsons neue Heimat ist nicht von ungefähr München. Deutsche Auto- und Anlagenbauer zählen zu den wichtigsten Partnern für Industrie 4.0, der schlauen Vernetzung aller Maschinen und Auswertung aller Daten in der Fabrik der Zukunft. Mit diesem Thema will IBM wieder an glorreiche Zeiten anschließen. Auch hier kann der Konzern auf bestehende Kunden und profundes Wissen über deren Abläufe aufbauen. Dennoch muss er sich in eine andere Richtung bewegen. Diese Übung aber ist er schon gewohnt. Als der legendäre Vorsitzende Sam Palmisano abtrat, sagte die aktuelle Firmenchefin, Virginia Rometty: „Sam hat uns allen beigebracht, niemals damit aufzuhören, IBM neu zu erfinden.“

Die Anfänge

Sony begann seine Firmengeschichte mit einem Ladenhüter: einem automatischen Reiskocher, der nie richtig funktionierte.

Samsung war anfangs ein Lebensmittelhandel, der getrockneten Fisch, Gemüse und Obst von Südkorea nach China exportierte.

Sharp wurde mit einer Gürtelschnalle groß.

LG Electronics aus Südkorea vermarktete in den ersten Jahren Zahnpasta, Seifen und Schönheitscremes.

Im Wandel

Intel ist mit Mikroprozessoren für Heimcomputer groß geworden. Aber die PC-Umsätze gehen zurück. Der Halbleiterkonzern lenkt seinen Blick nun auf Drohnen.

Apple mischt fast überall mit: über seine Spracherkennungssoftware Siri bei der künstlichen Intelligenz, über Allianzen beim Thema Haushaltssteuerung und noch sehr diskret beim selbst fahrenden Auto.

Uber ficht nicht nur juristische Kämpfe als Pseudo-Taxivermittler aus, sondern forscht auch an selbst fahrenden Autos.

Nokia musste das Geschäftsmodell völlig ändern: Die Finnen verkauften ihre marode Handysparte an Microsoft und wurden durch die Übernahme von Alcatel-Lucent zu einem wichtigen Netzwerkausrüster.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.01.2016)

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