Nach dem Attentat vom Dienstag herrscht in der Millionenmetropole Angst. Die Tourismuswirtschaft fürchtet massive Einbußen.
Aus der Ferne deutet wenig darauf hin, dass hier gerade ein Anschlag stattgefunden hat. Die S-Bahn fährt sogar noch zu der Haltestelle "Sultanahmet", wo die weltberühmte Blaue Moschee und die Hagia Sophia stehen, die täglich von tausenden Touristen besucht werden. Nur die Stille lässt ahnen, dass heute kein normaler Tag in der Millionenmetropole ist. Denn Touristen sind jetzt kaum welche zu sehen.
"Natürlich habe ich Angst", sagt der Kellner Ahmet. Er will seinen Nachnamen nicht nennen, das Restaurant, in welchem er arbeitet, befindet sich genau gegenüber der Blauen Moschee. Er war schon im Dienst, als die Explosion sich an diesem sonnigen Tag ereignete. "Erst hörten wir alle eine Explosion", sagt er. Dann seien die Menschen auf dem großen Platz rund um die Sehenswürdigkeiten losgerannt. "Aber solch ein Anschlag kann jeden Tag und überall passieren. Das Leben muss weitergehen", sagt er, schaut dabei aber unruhig auf den Boden. "Aber für uns in der Tourismusbranche wird es zunehmend schwieriger. Immer weniger Ausländer kommen hierhin", schiebt er hinterher.
Regierung verhängte Nachrichtensperre
Um 10:20 Uhr türkischer Ortszeit ereignete sich in dem Viertel Sultanahmet eine Explosion, bei der nach bisherigen Medienberichten zehn Menschen ums Leben kamen, und 15 verletzt wurden. Unter den Verletzten der Explosion sind nach einem Bericht des Fernsehsenders CNN Türk auch Touristen aus Deutschland und Norwegen, aber noch ist die Nachrichtenlage unklar und auch recht dünn. Denn Ankara hat eine Nachrichtensperre über den Anschlag verhängt, was in solchen Situationen in der Türkei üblich ist. Die regierungskritische Tageszeitung "Cumhuriyet" berichtete, ein Selbstmordattentäter habe sich in einer deutschen Touristengruppe in die Luft gesprengt. Auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan vermutet einen syrischen Selbstmordattentäter als Urheber der Explosion.
Rund um den Anschlagsort stehen Dutzende Polizisten, einige Stellen sind abgesperrt, doch insgesamt ist alles sehr ruhig und überschaubar. Sogar Touristengruppen spazieren umher. Eine Reisegruppe aus Argentinien lässt sich hinter einer Polizeiabsperrung gerade von ihrem Reiseleiter die Geschichte des Topkapi-Palastes erklären, der sich ebenfalls in dem Altstadtviertel befindet. Der Tourist Jose Scioli macht in aller Ruhe Bilder von den Sehenswürdigkeiten, deren Dächer in der Sonne schimmern. "Warum sollten wir unsere Pläne ändern", antwortet er auf die Frage, ob er keine Angst habe, gerade jetzt an diesem Ort zu sein. "Wer immer hinter dem Anschlag steckt, wird doch kein zweites mal jetzt hier zuschlagen", sagt er, während im Hintergrund der Muezzin das Mittagsgebet spricht.
Zwischen IS und PKK
In der Türkei hat es in der jüngsten Vergangenheit mehrfach Bombenanschläge gegeben. Am 10. Oktober kamen bei einem Anschlag auf einen Friedensmarsch in Ankara fast 130 Menschen ums Leben. Auch hinter dieser Tat vermuten Sicherheitsbehörden nun den Islamischen Staat (IS). Immer wieder wird aber auch vor einem Überschwappen des Kurdenkonflikts im Südosten des Landes in die westlichen Großstädte gewarnt. Erst letzte Woche hieß es in einer Stellungnahme der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), dass man sich im gesamten Land in "Stellung" gebracht habe - also durchaus bereit sei, Angriffe landesweit durchzuführen.
Denn im Südosten des Landes wird gerade massiv gegen kurdische Rebellen vorgegangen. Laut Armeeangaben wurden seit Beginn der im Dezember gestarteten Offensive 448 PKK-Anhänger getötet. Regierungskritische Medien berichten täglich von Zivilisten, die zwischen den Fronten umgekommen sind. Menschenrechtsgruppen haben 160 tote Zivilisten gezählt, die dabei ums Leben kamen. Ein Ende des Konflikts ist nicht absehbar. Ministerpräsident Ahmet Davutoglu erklärte am Sonntag auf einem Parteikongress, dass die Militäroperation in Südostanatolien erst dann beendet werde, wenn das Terrorproblem besiegt worden sei.
"Natürlich haben wir Angst"
Vor der Sultanahmet-Moschee kehren zwei Straßenreiniger gerade die Wege. Auch die zwei Männer in ihrer orangefarbenen Arbeitskleidung wollen ihren Namen nicht nennen, sie sehen bedrückt aus. "Natürlich haben wir Angst", sagt der eine. "Wie sollen wir angesichts all des Terrors um uns herum keine Angst haben", sagt der andere. Dann wollen sie nichts mehr dazu sagen, sie fürchten sich.
((APA/Cigdem Akyol) )