Ölpreis: Die Nachwehen einer Blase

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Der Ölpreis fiel erstmals seit 2003 unter die 30-Dollar-Marke. Die Übertreibungen des vergangenen Jahrzehnts sind damit Geschichte. Die Historie zeigt: Es gibt noch Raum nach unten.

Wien. Die weltweite Ölindustrie ist in ihrem schwersten Abwärtssog seit vielen Jahren. Am Dienstag fiel der Preis für ein Barrel (159 Liter) der US-Sorte WTI kurzzeitig erstmals seit Dezember 2003 unter die Marke von 30 US-Dollar (29,93 Dollar). Ein Fass der Nordseesorte Brent wurde um 30,43 Dollar gehandelt. In den ersten Tagen des neuen Jahres ist der Ölpreis damit um ein sattes Fünftel nach unten gestürzt. Ein Ende scheint nicht in Sicht. Analysten und Großbanken glauben eher an den weiteren Rückgang auf 20 Dollar als an ein baldiges Anziehen der Preise.

Und das alles in einer Zeit, in der sich große Opec-Mitglieder wie Saudiarabien und der Iran Stellvertreterkriege im Jemen liefern. Noch vor wenigen Jahren hätten politische Spannungen, wie sie derzeit im ölreichen Nahen Osten zu beobachten sind, den Preis für den Rohstoff unweigerlich nach oben gezogen. Heute ist das Gegenteil der Fall. Aber warum?

Lange war Öl viel billiger

Der rasche Verfall der Rohölpreise um 70 Prozent in den vergangenen eineinhalb Jahren hat mehrere Gründe. Die beiden augenscheinlichsten heißen Angebot und Nachfrage: Seit 2010 haben die USA ihre Ölproduktion dank der umstrittenen Fracking-Technik beinahe verdoppelt. Die Wiederbelebung der alten Ölmacht hat alle Lieferausfälle im Nahen Osten mehr als kompensiert.
Mehr noch: Mit den Vereinigten Staaten ist den großen Ölexporteuren wie Saudiarabien und Nigeria einer ihrer größten Abnehmer abhanden gekommen. Da aber auch sonst niemand zu einer Kürzung der Produktion bereit war und die Nachfrage großer Schwellenländer gering blieb, ist einfach viel zu viel Öl auf dem Markt.

Erklärung Nummer zwei lautet sinngemäß: Der Preis heute ist gar nicht so niedrig, vielmehr waren die Preise von gestern künstlich überhöht. Der Blick auf die historische Entwicklung des Ölpreises scheint diese These zu stützen. Bis Mitte der 1970er-Jahre war ein (nomineller) Ölpreis unter zehn Dollar die Normalität (siehe Grafik). Erst nach dem ersten Ölpreisschock kletterte der Preis bis Ende der 1970er langsam auf die 30-Dollar-Marke. Nach einem kurzen Tief rund um die Jahrtausendwende kostete das Fass Öl erstmals im Jahr 2005 über 50 Dollar. Was dann einsetzte, kann heute getrost als Spekulationsblase bezeichnet werden. Angefeuert von einer allgemeinen Rohstoff-Hausse trieben Investoren den Preis für ein Fass Öl im Juli 2008 auf 147,50 Dollar. Die Korrektur kam rasch. Später sorgte die Hoffnung auf einen neuerlichen Boom in den Schwellenländern sowie billiges Notenbank-Geld für einen weiteren Höhenflug. Inzwischen sind diese Blasen wohl endgültig geplatzt.

Das bedeutet nicht, dass der Ölpreis auf diesem niedrigen Niveau verharren wird. Dafür sorgen schon die Ölkonzerne selbst, die um die Zyklen in ihrem Geschäft wohl am besten Bescheid wissen: Sie reduzieren ihre Kosten massiv – BP will etwa 4000 Mitarbeiter, rund fünf Prozent der Belegschaft, kündigen. Noch wichtiger: Sie fahren ihre Investitionen radikal zurück.

Energiewende ausbremsen?

Allein 2015 strichen sie 150 Milliarden Dollar Investitionen. Schätzungen zufolge müssen jedes Jahr zumindest 300 Milliarden neu ausgegeben werden, um die Produktion zu halten. Es wird eine Weile dauern, bis sich der Rückgang der Bohrtürme bemerkbar macht, aber dann wird der Preis steigen. Nur, wer kann es sich leisten, darauf zu warten?
Die meisten Produzentenländer sind von den Öleinnahmen abhängig. Selbst das mächtige Opec-Mitglied Saudiarabien kommt in Bedrängnis. Dennoch will das Ölkartell, das immerhin 40 Prozent der globalen Ölproduktion kontrolliert, die Produktion nicht kürzen.

Haupttreiber hinter dieser Entwicklung ist Saudiarabien. Das Königreich spekuliert damit, mittelfristig am längeren Ast (vulgo: billigeren Öl) zu sitzen und die USA aushungern zu können. Die Stiftung Wissenschaft und Politik will einen zweiten Grund für die Hinhaltetaktik der Opec gefunden haben: „Sporadische Niedrigpreisphasen sollen Öl-Substitutionsprozessen“ entgegenwirken, schreiben sie. Die Wende weg von fossilen Brennstoffen soll verlangsamt werden, damit die Golfstaaten morgen noch Abnehmer für ihr Öl haben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.01.2016)

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