AMS: Syrische Flüchtlinge besser gebildet als Österreicher?

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Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak sollen gebildeter sein als die Österreicher. Das ist das Ergebnis eines AMS-Kompetenzchecks. Die Bildungsangaben wurden nicht überprüft.

Wien. Das Arbeitsmarktservice (AMS) hat am Dienstag die mit Spannung erwarteten Ergebnisse des „Kompetenzchecks“ bei Flüchtlingen präsentiert. Bei der Vorstellung war Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) anwesend. Die Resultate sind auf den ersten Blick überraschend. Denn herausgekommen ist, dass die Flüchtlinge aus vielen Ländern (wie Syrien, Irak und dem Iran) über ein deutlich höheres Bildungsniveau verfügen als die Österreicher. Überprüft wurden 898 anerkannte Flüchtlinge. Davon sollen angeblich 23 Prozent über ein abgeschlossenes Studium verfügen. Weitere 27 Prozent sollen in ihrem Heimatland die Matura gemacht haben. Zum Vergleich: Laut Statistik Austria liegt in Österreich die Akademikerquote bei den 25- bis 64-Jährigen bei 15,9 Prozent. Weitere 14 Prozent der Österreicher verfügen als höchste abgeschlossene Ausbildung über eine Matura.

Viel aussagekräftiger sind für das Arbeitsmarktservice aber die Detailergebnisse über die verschiedenen Herkunftsländer der Flüchtlinge. Mit 40 Prozent soll die Akademikerquote bei den Menschen aus dem Irak besonders hoch sein. Bei den Syrern sind es angeblich 26 Prozent. Weitere 29 Prozent der Syrer sollen die Matura gemacht haben. Einzig bei den Menschen aus Afghanistan soll das Bildungsniveau nicht so gut sein. Denn nur sieben Prozent der Afghanen, die nach Österreich geflohen sind und vom AMS überprüft wurden, sollen studiert haben. Weitere 17 Prozent der Afghanen sollen über eine Ausbildung auf Maturaniveau verfügen.

AMS-Chef ist beeindruckt

AMS-Chef Johannes Kopf zeigte sich unter anderem von den Ergebnissen der Syrer, Iraner und Iraker „beeindruckt“. Bemerkenswert sei, dass Frauen deutlich besser ausgebildet seien als Männer. Der AMS-Chef hält die ermittelte Qualifikationsstruktur der Asylberechtigten im Vergleich zum Herkunftsland für „nicht unplausibel“. Denn in Syrien und im Irak habe es vor dem Krieg ein gutes Schul- und Ausbildungssystem gegeben. Sozialminister Hundstorfer erklärte, Arbeit sei der beste Schlüssel zur gelungenen Integration. Ziel müsse es sein, die anerkannten Flüchtlinge möglichst rasch in den Arbeitsmarkt zu integrieren, um „Sozialkosten zu minimieren“.

Doch wie kommen die Ergebnisse des Kompetenzchecks zustande? Gibt es bei den Syrern, Iranern und Irakern tatsächlich so viele Akademiker? Dabei können laut AMS nur 30 Prozent der Flüchtlinge ihre Qualifikation mit Zeugnissen belegen. Auf Nachfrage der „Presse“ räumte das AMS ein, dass bei diesen Kompetenzchecks die Angaben der Flüchtlinge über das Studium und die Matura nicht überprüft wurden.

Die Wiener AMS-Chefin Petra Draxl meinte, nach Diskussionen mit allen beteiligten Trainern und Institutionen sei man zur Entscheidung gelangt, „dass wir davon ausgehen, die Menschen sagen uns das Richtige“. Man glaube den Angaben und Erzählungen. „Es gibt keinen Hinweis, dass uns die Menschen angelogen haben“, so Draxl. Die Kurse mit muttersprachlichen Trainern bestanden aus Gruppen- und Einzeleinheiten mit praktischer Erprobung. Auch habe es bei der Auswahl für die Teilnehmer des Kompetenzchecks keine „besondere Kriterien“ gegeben.

Dokumente nachholen

Jetzt müsse man sich Verfahren überlegen, wie die Angaben der Flüchtlinge nachgewiesen werden können. Auch werden die Betroffenen aufgefordert, fehlende Unterlagen aus ihren Heimatländern nachzuholen. Auch AMS-Chef Kopf versicherte: „Wir haben keinerlei Hinweise, dass diese Leute uns anlügen.“ Den Vorwurf, hier naiv vorgegangen zu sein, weisen Draxl und Kopf zurück. Beide meinten allerdings, dass die Ergebnisse nicht repräsentativ für alle anerkannten Asylberechtigten seien.

So waren von den 898 Personen, die am Kompetenzcheck teilgenommen haben, rund die Hälfte Frauen. Doch in der Realität fliehen wesentlich mehr Männer als Frauen nach Österreich. Das Arbeitsmarktservice will den Kompetenzcheck nun ausbauen und heuer die Zahl der Teilnehmer auf 13.500 erhöhen. Tatsächlich sind die AMS-Resultate aus mehreren Gründen zu hinterfragen. Schließlich warnte das Innenministerium in Berlin im November die deutschen Bundesländer ausdrücklich vor gefälschten syrischen Bildungs- und Berufsabschlüssen. Unter den vorgelegten Zeugnissen und Diplomen „befinden sich in erheblichem Maße gefälschte Urkunden“, heißt es in dem Schreiben des deutschen Innenministeriums. Der deutschen Botschaft in Beirut zufolge gibt es in der Region Dienstleister, die beispielsweise gefälschte Maturazeugnisse verkaufen.

In Deutschland wurden in der Vergangenheit ebenfalls die Kompetenzen der Flüchtlinge erhoben. Hier kam man zu anderen Ergebnissen als in Österreich. So erstellte die deutsche Bundesagentur für Arbeit eine Prognose zu arbeitslosen Flüchtlingen. Demnach sollen nur acht Prozent der Flüchtlinge über eine akademische Ausbildung verfügen. Weitere elf Prozent sollen eine berufliche Ausbildung haben. Das bedeutet, dass 81 Prozent der Flüchtlinge keine formale Qualifikation vorweisen können. Laut Studie des deutschen Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung haben 87 Prozent der Flüchtlinge, die aus Kriegs- und Bürgerkriegsländern stammen und bei der Arbeitsagentur gemeldet sind, keine abgeschlossene Berufsausbildung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.01.2016)

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