Wir brauchen mehr Ehrlichkeit in der Flüchtlingspolitik

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Flüchtlinge sind viel besser ausgebildet als befürchtet, ergab ein Kompetenzcheck. Das klingt ermutigend, ist aber eher ein Blick durch die rosarote Brille.

Jetzt wissen wir es also: Flüchtlinge aus Syrien, dem Irak oder Iran sind viel besser ausgebildet, weisen eine deutlich höhere Maturanten- und Akademikerquote auf als Österreicher. Alles Chirurgen, Software-Ingenieure und Raketenforscher. So in etwa könnte man das Ergebnis des sogenannten Kompetenzchecks des Arbeitsmarktservice überspitzt interpretieren. Doch so hoffnungsvoll dieser Kompetenzcheck auch ausgefallen sein mag, einem Realitätscheck hält er leider nicht stand.

Der Chef des Arbeitsmarktservice gibt unumwunden zu, dass die Angaben der Flüchtlinge nicht durchgängig überprüft worden sind. „Wir haben keinerlei Hinweise, dass diese Leute uns anlügen“, sagte er. Stelle sich einer vor, so würde man im Finanzministerium ticken. Dann hätten wir uns das Dilemma mit der Registrierkasse ersparen können. Aber selbst wenn jemand in Syrien ein Studium absolviert hat, bedeutet es nicht, dass er damit automatisch auch auf dem österreichischen Arbeitsmarkt Fuß fassen kann.

Man wird das Gefühl nicht los, dass diese Umfrage eher dazu dient, die Ängste in der österreichischen Bevölkerung zu zerstreuen. Einen Aufschluss über die Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt gibt sie nicht. Ganz im Gegenteil: Sie wirft mehr Fragen auf, als sie beantwortet. Etwa: Wie kann es sein, dass alle Studien in Deutschland zu dem Schluss kommen,dass bis zu 80Prozent der Flüchtlinge über keine abgeschlossene Berufsausbildung verfügen, der Kompetenzcheck in Wien allerdings ergibt, dass 61 Prozent der Flüchtlinge eine Berufsausbildung, Matura oder Studium vorweisen?

Eine Antwort auf dieses Mysterium lautet: An diesem Kompetenzcheck nahmen viele Flüchtlinge teil, deren Asylverfahren bereits positiv abgeschlossen wurde. Das setzt voraus, dass diese Flüchtlinge nicht erst in den vergangenen Monaten über die Balkanroute nach Österreich gekommen sind. Vielmehr sind viele Syrer darunter, die bereits 2014 geflohen sind. Und die Ersten, die fliehen, sind in der Regel die gut Ausgebildeten. Und diese werden tatsächlich relativ leicht zu integrieren sein, sie werden relativ rasch unsere Sprache lernen. Aber sie sind vermutlich die absolute Ausnahme und haben in einer Umfrage, die „eine Tendenz zeigen“ soll, wie es beim AMS heißt, nichts verloren. Das ist, als würde man eine Sozialstudien unter Porsche-Fahrern machen.


Die Integration von Flüchtlingen ist eine große Herausforderung. Wir begegnen ihr nicht, indem wir uns das Problem schönreden. Im Gegenteil. Mit solchen durchsichtigen Beschwichtigungen spielt man vor allem jenen in die Karten, die Hass und Zwietracht schüren. Dass sich Sozialminister Hundstorfer für eine solche Umfrage hergibt, ist mehr als befremdlich. Immerhin wird allgemein erwartet, dass er in den nächsten Tagen seine Kandidatur für das Bundespräsidentenamt bekannt geben wird. Will er so das Vertrauen der Bürger gewinnen? Fast beschleicht einen das Gefühl, Hundstorfer will mit dieser Aktion im letzten Moment noch rosa Brillen verteilen.

Dabei schaut selbst SPÖ-Chef Werner Faymann mittlerweile nicht mehr durch die rosa Wir-schaffen-das-Brille, sondern in die „Krone“. Die Zahl der Flüchtlinge müsse sinken, Wirtschaftsflüchtlinge will er zurückschicken. So schnell ändert sich also die Tonalität des Kanzlers in der Flüchtlingsdebatte, wenn es um die Gunst der „Kronen Zeitung“ geht. Etwa beim bevorstehenden Präsidentschaftswahlkampf.

Fest steht: Solche Kompetenzchecks tragen nichts zur einer Versachlichung der Diskussion bei. Die politische Diskussion ist ohnehin schon viel zu sehr von Realitätsverweigerern gekennzeichnet. Auf der einen Seite von jenen, die den Untergang des Abendlandes propagieren und fremdenfeindliche Ressentiments schüren. Auf der anderen von jenen, die sich in ihren Innenstadtbezirken die wunderbare, gerechte, multikulturelle Wohlfühlgesellschaft ausmalen. Vielleicht sollten Politiker und Arbeitsmarktexperten einfach eingestehen, dass sie auf viele Fragen noch keine Antworten haben. Das hilft uns zwar auch nicht weiter. Aber wir würden uns zumindest rosa Brillen und Kompetenzchecks ersparen.

E-Mails an: gerhard.hofer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.01.2016)

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