Deutschland: Schäuble schafft Rekordüberschuss

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2015 erzielte die deutsche Regierung mit über zwölf Mrd. Euro das höchste Plus in der Geschichte der Bundesrepublik. Der Geldsegen wird für die Flüchtlingshilfe rückgestellt.

Wien/Berlin. Dass es in Deutschland gut läuft und die Staatskasse davon profitiert, hat sich herumgesprochen. Dennoch sorgt Finanzminister Wolfgang Schäuble jedes Jahr für eine Überraschung. 2012 führte er ins Vokabular der fiskalischen Berichterstattung das fast schon vergessene Wort „Überschuss“ wieder ein. Damals schaffte der deutsche Gesamtstaat (Bund, Länder, Kommunen und Sozialversicherungen) ein leichtes Plus. Im Jahr darauf nahm es zu. 2014 erzielte auch der seit 1969 defizitäre Bundeshaushalt eine schwarze Null – und kommt seitdem ohne neue Schulden aus.

Am Mittwoch wurden die Fanfaren aufs Neue ausgepackt: Die schwarze Null beim Bund hat sich im Vorjahr zu einem satten Gewinn von 12,1 Mrd. Euro ausgeweitet – der höchste Wert in der Geschichte der Bundesrepublik. Dabei war man noch im November nur von der Hälfte ausgegangen. Auch das ist ein Markenzeichen von Merkels Schatzmeister: sehr vorsichtige Schätzungen, die das Ergebnis viel besser ausfallen lassen als erwartet.

Schuldenquote sinkt rascher

Dahinter stehen weder titanische Anstrengungen noch grimme Sparpakete. Die gute Konjunktur sorgt für kräftig steigende Einnahmen. Die extrem niedrigen Zinsen haben die jährlichen Kosten für die Bedienung der Altschulden von 40 Mrd. im Jahr 2008 auf aktuell 20 Mrd. gedrückt. Indirekt zapft Berlin die hohen Gewinne der Sozialversicherungen an. Als Sondereffekt kamen 2015 drei Milliarden aus der Versteigerung von Mobilfunklizenzen hinzu. Im Übrigen aber musste der Hüter der Finanzen nur Begehrlichkeiten von allen Seiten abwehren und die Ausgaben in Summe konstant halten – fertig ist der Überschuss. Freilich: Den Abbau des gewaltigen Schuldenberges von 1300 Mrd. Euro ging man in Berlin bisher nur symbolisch an. Relativ kleiner wird er trotzdem – bei wachsender Wirtschaft, stabilen Ausgaben und Inflation.

In Riesenschritten gehen die Schulden in Relation zum BIP zurück, schon 2019 könnte der Maastricht-Wert von 60 Prozent wieder erreicht sein. Zum Vergleich: In Österreich liegt die Schuldenquote bei 86 Prozent, mit nur leicht sinkender Tendenz. Dabei hat auch Deutschland seine Debakel mit Banken erlebt: Die Lasten von Hypo Real Estate, WestLB und Commerzbank haben die Schulden um zwölf Prozentpunkte der Wirtschaftsleistung getrieben.
Aber das Abschmelzen der Bad Banks läuft viel besser als anfangs erhofft, weil die Kurse der südeuropäischen Papiere sich deutlich erholt haben. Im Falle der Hypo Alpe Adria sind so leicht verheilende Wunden nicht zu erwarten.

Was auf den ersten Blick für Österreich zu sprechen scheint: Einer Steuerreform und damit einer Korrektur der kalten Progression hat sich Schäuble verweigert. Allerdings ist auch der Leidensdruck deutlich geringer: Die deutsche Abgabenquote liegt vier bis fünf Punkte unter der österreichischen. Die Deutschen haben nicht unter starken Gebührenerhöhungen gelitten, die das Preisniveau treiben und die Reallöhne drücken. Und die Lohnsteuersätze für Niedrigverdiener laufen dort auch ohne Reform flacher an als hierzulande.

Integration statt Straßenbau

Eine Nettorückzahlung von Schulden gibt es auch heuer nicht. Schon im Herbst hatte die Große Koalition paktiert: Der Überschuss geht in die Flüchtlingshilfe. Dabei bleibt es, auch wenn jetzt sechs Milliarden dazukommen: „Wir werden die Rücklage dringend brauchen“, erklärt der Minister. Das zeigen auch die Planzahlen: Schäuble geht von Kosten für Flüchtlinge von 20 Mrd. aus, aber nur 7,6 Mrd. sind schon budgetiert – für die Differenz muss der Überschuss herhalten. Das provoziert Kritik. Der Industrieverband erinnert an viele marode Straßen und Schienen und fordert zusätzlich eine Investitionsoffensive. Ins gleiche Horn stößt der Rechnungshof.

Allerdings sehen die Kontrolleure das größte Risiko bei den Pensionen: Hier müssen die Zuschüsse bis 2019 massiv steigen, weil die Babyboomer in Rente gehen. Weil es schon lange an Kindern mangelt, folgen zu wenige neue Beitragszahler nach. Sollte es die Regierung tatsächlich schaffen, die Flüchtlinge bis dahin in gute Beschäftigung zu bringen, hätte Deutschland nicht nur eine humanitäre Großtat vollbracht – auch die größte Gefahr für sein mittelfristiges wirtschaftliches Wohl wäre entschärft. Hier aber sind Merkel und Schäuble, wie schon bei der Energiewende, gar nicht vorsichtig: Sie gehen eine kühne Wette auf eine ungewisse Zukunft ein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.01.2016)

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