Polens Problem ist vorerst nicht die Demokratie, aber der Rechtsstaat.
Es wäre einfach, sich der aufgeheizten Stimmung anzuschließen. Polens Regierung unterwandert Medien und Justiz. Typisch, könnte man sagen, wieder eine rechte Partei, die machtbesessen und nationalistisch agiert. Doch diese Vorwürfe schwellen sowieso an. Sie sind berechenbar wie die Reaktion von Warschaus Regierung und deren Aufruf zum nationalen Schulterschluss.
Die Sache ist komplizierter: Es geht weniger um Parteipolitik als vielmehr um das Verständnis von Rechtsstaat in Osteuropa. Sowohl die ungarische als nun auch die polnische Regierung ist der festen Überzeugung, dass ihr eine starke demokratische Legitimation erlaubt, sich den Staat so herzurichten, wie sie möchte. Wenn Regierungschefin Beate Szydło die Kritik am Rechtsstaat aus Brüssel damit abtut, dass es der „Demokratie in Polen gut geht“, belegt sie nur diese falsche Sichtweise. Die Entmachtung der Verfassungsrichter, die Gleichschaltung der Medien zerstören vorerst noch nicht die demokratische Willensbildung. Sie ruiniert aber die für einen funktionierenden Rechtsstaat notwendige Machtbalance.
Es fragt sich nur, warum eine ähnliche Entwicklung in Ungarn nicht ebenfalls unter die Lupe genommen wird. Vielleicht, weil dessen Regierungspartei der größten politischen Gruppe in der EU, der Europäischen Volkspartei, angehört, die polnische PiS hingegen nicht? Die EU-Kommission macht sich angreifbar, wenn sie nicht mit gleichem Maß misst.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.01.2016)