Vor 15 Jahren: Als "El Chapo" das erste Mal floh

"El Chapo", seit 8. Jänner 2016 wieder im Gefängnis..(c) AFP
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2015 entkam der Drogenboss aus einem Hochsicherheitsgefängnis, ehe er geschnappt wurde. Doch bereits 2001 war ihm schon einmal eine aufsehenerregende Flucht gelungen.

Vor wenigen Tagen wurde in Los Mochis, einer 250.000-Einwohner-Stadt nahe der Küste Sinaloas, das Versteck des geflohenen mexikanische Drogenbosses Joaquin "El Chapo" Guzman ausgehoben. Nach einer Schießerei, bei der fünf seiner Leute getötet wurden, wandert er nun zurück ins Hochsicherheitsgefängnis Altiplano, aus dem der mächtigste Drogenboss der Welt erst im Juli 2015 ausgebrochen war. Das war übrigens nicht das erste Mal, denn genau vor 15 Jahren gelang es Guzman schon einmal, aus einem Gefängnis zu verschwinden.

Eigentlich erschien auch damals eine Flucht unmöglich. Das Gefängnis Puente Grande war im Jahr 2001 eines von drei Hochsicherheitsgefängnissen, ausgestattet mit dem teuersten Alarmsystem des Landes und insgesamt 128 Überwachungskameras. Jeder Winkel des Gebäudekomplexes wurde überwacht. Die Kontrolle der Kameras erfolgte von außerhalb des Gefängnisses. In den Korridoren konnte niemals mehr als eines der Tore gleichzeitig geöffnet werden.

20 Jahre Haft für "El Chapo"

1993 wurde Guzman in Guatemala verhaftet und nach Mexiko ausgewiesen. Dort wurde er zu 20 Jahren und neun Monaten Haft wegen Waffenbesitzes, Drogenhandel und der Beteiligung an der Ermordung von Kardinal Juan Jesus Posadas Ocampo verurteilt. Ab 1995 saß er seine Strafe im Gefängnis Puente Grande ab.

Hochsicherheit und die Schwachstelle Mensch

Doch der Drogenboss wusste wie auch später in Altiplano im Gefängnis Puente Grande den Faktor Mensch zu nutzen. Am Abend des 19. Jänner 2001 öffnete Francisco Javier Camberos Rivera, Guzmans Wärter, die elektronisch gesicherte Zellentür. Daraufhin sprang Guzman in einen Wäschewagen, den der Wärter aus den Zellenblock schob.

Malcolm Beith schreibt in seinem Buch "El Chapo: Die Jagd auf Mexikos mächtigsten Drogenbaron" über die Flucht: "Da die Stromkreisläufe offenbar unterbrochen waren, öffneten sich die meisten elektronischen Tore problemlos. Andere waren kaputt und brauchten nur aufgestoßen zu werden. Ein Tor hatte man mit Hilfe eines alten Schuhs blockiert - nicht unbedingt ein Gütesiegel für die von den mexikanischen Behörden behauptete Sicherheit ihrer Einrichtungen."

An der letzten Hürde, einem Wachhabenden, kamen der Wärter und Guzman ebenfalls vorbei. "Ich bringe die Wäsche raus, wie immer", sagte Rivera. Der Wachhabende untersuchte zwar den Wäschewagen, doch er griff nicht tief genug in diesen. Der Rest war dann ein Kinderspiel. Die Kontrolle des Parkplatz-Areals von Puenta Grande, das nach Guzmans Ausbruch scherzhaft "Puerta Grande ("große Tür") genannt wurde, war bestenfalls fahrlässig. Die Flucht wurde erst Stunden später bemerkt. "El Chapo" war frei und blieb es bis zu seiner Verhaftung im Jahr 2014. Er nutzte die Zeit, um sein Drogenimperium auszubauen und zum mächtigsten Drogenboss der Welt aufzusteigen.

Flucht kostete 2,5 Millionen US-Dollar

Beith zufolge kostete Guzman die Flucht rund 2,5 Millionen US-Dollar. Demnach mussten insgesamt 78 Wärter geschmiert werden. Zudem erkaufte er sich dem Autor zufolge bei der Polizei von Jalisco die entscheidenden 24 Stunden, die er brauchte, um den Bundesstaat zu verlassen. Angeblich wurden aber viele Wärter im falschen Glauben gelassen, dass Guzman etwas aus dem Gefängnis schmuggeln wollte.

Guzmans zweimaliges Ausbrechen aus Hochsicherheitsgefängnissen lässt viele Skeptiker auch heute vor allem eine Frage stellen: Wann gelingt "El Chapo" erneut die Flucht? Die Frage ist berechtigt, wenn man sich ansieht, wie Guzman in seinen Haftjahren in Puente Grande (1995-2001) regelrecht hofiert wurde.

Gefängniswärter als Gehilfen

Ab dem ersten Tag in Haft gab Guzman den Ton an. Beith beschreibt die Situation folgendermaßen: "Er ging auf Wärter und Angestellte zu und fragte sie, oftmals unter vier Augen, ob sie wüssten, wer er sei. Haben deine Vorgesetzten dich über mich ins Bild gesetzt? Bist du bereit, für uns zu arbeiten? Die Fragen waren nicht wirklich als Fragen gemeint, aber gleichzeitig ließ er durchblicken, dass man ihnen ihre Loyalität gut vergelten würde. Selbst die Putzfrauen und das Küchenpersonal erhielten Geld, man bezahlte ihnen zwischen einhundert und fünftausend Dollar für ihre Kollaboration."

Weitere Drohungen waren eigentlich nicht mehr nötig, denn jeder wusste: Es war wie einst bei dem kolumbianischen Drogenboss Pablo Escobar das Prinzip "Plata o Plomo" - Silber oder Blei. Entweder man lässt sich bestechen - oder man selbst bzw. die Familie fängt sich eine Kugel ein. "Bald hatten Chapo und seine Kompagnons ein System entwickelt, bei dem das Gefängnispersonal immer neue Gefolgsleute rekrutierte", so Beith.

Partys im Zellenblock waren Alltag

Partys im Zellenblock standen schon bald an der Tagesordnung. Alkohol floss reichlich, Drogen wurden konsumiert und Frauen, Freundinnen und Prostituierte kamen unkontrolliert auf Besuch. Bis heute gibt es Gerüchte, dass Guzman das Gefängnis an Wochenenden sogar verlassen habe, um Familie und Freunde zu treffen. Mit einer Küchenhilfe hatte Guzman eine Affäre, die mehrere Monate lang dauerte - ebenso wie mit einer wegen eines Drogendelikts verurteilen Ex-Polizistin.

Guzman blieb auch stets, obwohl inhaftiert, einer der größten und mächtigsten Drogenschmuggler. Geschäfte wurden über Mobiltelefone abgewickelt, über Notebooks wurde die Buchhaltung weitergeführt. Die operativen Geschäfte außerhalb des Gefängnisses führte sein Bruder Arturo.

Viele Fragen blieben offen

Aus heutiger Sicht stellt sich die Frage, ob Guzman freiwillig so lange im Gefängnis blieb - und wenn ja, warum? Natürlich hatte er viele Feinde, die ihn tot sehen wollten. Guzman kam mit seiner Flucht jedenfalls einer Verlegung in einen anderen Zellentrakt zuvor. Diese hatte Mexikos damaliger stellvertretende Polizeichef Tello Peón veranlasst, dem Gerüchte einer geplanten Flucht zu Ohren gekommen waren. In einem anderen Zellenblock wäre Guzmans Macht und Bewegungsfreiheit wohl erheblich eingeschränkt gewesen. Sein Zeitfenster für eine Flucht hätte sich also wohl rasch geschlossen.

Bis heute wird auch darüber spekuliert, dass Guzman vor seiner Flucht mit den mexikanischen und US-Behörden einen Deal machte. Dabei könnte er andere Drogenbosse ans Messer geliefert haben.

Gelingt "El Chapo" dritte große Flucht?

Um die Gefahr einer dritten großen Flucht zu minimieren, wurden die Sicherheitsvorkehrungen im Hochsicherheitsgefängnis Altiplano noch einmal erhöht. Der Boden wurde mit Stahl verstärkt, Guzman wird nun 24 Stunden am Tag rund um die Uhr per Ton und Bild überwacht. Sicherheitskameras kontrollieren alle Bewegungen inner- und außerhalb der Zelle.

Mexiko-Experten befürchten indes eine weitere Flucht von "El Chapo", sollte es nicht gelingen, den Drogenboss an die USA auszuliefern. Eine Auslieferung wird zwar von der mexikanischen Generalstaatsanwältin befürwortet, dürfte aber mindestens ein Jahr dauern. "Wir haben schon Verfahren gehabt, die vier, sechs Jahre gedauert haben, abhängig von den Rechtsmitteln, die die Verteidigung ergreift", hieß es dazu von der mexikanischen Generalstaatsanwaltschaft.

Zwar bietet auch ein US-Hochsicherheitsgefängnis keinen hundertprozentigen Ausbruchsschutz, allerdings dürfte es Guzman außerhalb Mexikos erheblich schwerer fallen, sein Netz an willigen Gehilfen aufzubauen.

Das mexikanische Hochsicherheitsgefängnis Altiplano.
Das mexikanische Hochsicherheitsgefängnis Altiplano.(c) Reuters

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