Die Stimmung in Deutschland kippt

GERMANY
GERMANY(c) APA/AFP/TOBIAS SCHWARZ
  • Drucken

Laut einer Umfrage glauben 60 Prozent, dass das Land die Situation nicht mehr bewältigen kann. Auch Altkanzler Schröder attackierte Kanzlerin Merkel hart.

Berlin. „Wir schaffen das nicht.“ In diese Richtung scheint sich die deutsche Öffentlichkeit zunehmend zu richten – und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gerät dadurch zunehmend unter Druck. Ablesen lässt sich das unter anderem am Politbarometer des ZDF – hier zeigt sich erstmals mit 60Prozent der Befragten eine Mehrheit dafür, dass Deutschland die vielen Flüchtlinge nicht bewältigen kann. Im Dezember waren nur 46 Prozent dieser Ansicht. Immerhin noch 37 Prozent glauben, dass Deutschland die hohe Zahl an Schutzsuchenden verkraften kann.

Mitverantwortlich für den Umschwung war wohl auch die Silvesternacht in Köln – so gab ein Drittel der Befragten an, dass die Übergriffe auf Frauen ihre Einstellung in der Flüchtlingsfrage verändert haben. 70 Prozent haben die Befürchtung, dass durch die Flüchtlinge die Kriminalität zunehmen wird. Dementsprechend schlecht sind auch die Werte für Angela Merkel – 56 Prozent der Befragten meinen, dass sie in der Flüchtlingskrise ihre Arbeit eher schlecht macht.

Es ist aber nicht nur das Volk, bei dem Merkel an Vertrauen verliert. Auch in der Politik gibt es Kritik, zuletzt etwa von Altkanzler Gerhard Schröder (SPD). „Die Kapazitäten bei der Aufnahme, Versorgung und Integration von Flüchtlingen in Deutschland sind begrenzt“, sagt er dem „Handelsblatt“. Ein unbegrenzter Zuzug nach Deutschland sei ein Fehler. Weil die CDU ein Einwanderungsgesetz stets abgelehnt habe, sei man nun gezwungen, Hunderttausende Flüchtlinge rechtlich in ein Asylverfahren zu pressen.

Häme über „Einladung“

Auch Niedersachsens Ministerpräsident, Stephan Weil (SPD), attackierte Merkel in einem Zeitungsinterview: „Die Bundeskanzlerin wird sich im Laufe des Jahres korrigieren müssen.“ Andere Länder würden mit Häme von der „deutschen Einladung“ reden, so Weil. Dass sich andere Staaten nun zurücklehnen, während man selbst nicht mehr zurechtkomme, müsse man nun beenden.

Auch abseits der Politik ist ein Kippen der Stimmung zu bemerken. So dürfen etwa in Bornheim bei Bonn männliche Flüchtlinge nicht mehr ins städtische Hallenbad. Weil es Beschwerden wegen sexueller Belästigungen gegeben habe, verbot die Stadt den Männern aus einer nahen Aslyunterkunft den Zugang.

Und auch eine deutsche Institution ist nun von der Flüchtlingssituation betroffen – der Karneval. Die Stadt Rheinberg in Nordrhein-Westfalen hat ihren traditionellen Karnevalsumzug abgesagt. Weil er nämlich auch an einem Flüchtlingsquartier vorbeigezogen wäre, forderte die Polizei bei den Veranstaltern ein Sicherheitskonzept ein. Diese sahen sich außerstande, ein solches bis zum Rosenmontag (8. Februar) zu realisieren, und sagten die Veranstaltung schließlich ab.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.01.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Asylwerber in Deutschland.
Außenpolitik

Flüchtlinge: Merkel will Nordafrikaner schneller abschieben

CDU und CSU wollen Flüchtlinge aus Marokko und Algerien wie Asylwerber aus sicheren Herkunftsstaaten behandeln.
Man sah sie schon optimistischer: Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel
Außenpolitik

Union setzt Merkel unter Druck: "Zweifel, ob wir ,es' schaffen"

In einem Brief, der kommende Woche der Kanzlerin übergeben werden soll, fordern Abgeordnete von CDU/CSU, zur "Anwendung geltenden Rechts" zurückzukehren."
TURKEY-GREECE-EUROPE-MIGRANTS
Außenpolitik

Ankara: „Können Strom in EU nicht stoppen“

Die Türkei lässt kaum noch syrische Kriegsflüchtlinge ins Land. Von der EU wird für die Betreuung der angekommenen Schutzbedürftigen eine Milliardenhilfe gefordert, doch das Geld fließt nicht.
Angeschlagen: Kanzlerin Merkel
Europa

Flüchtlingspolitik: Erstmals Mehrheit gegen Merkel

Laut dem neuesten ZDF-Politbarometer halten 60 Prozent der Deutschen den hohen Flüchtlingszustrom für nicht mehr verkraftbar.
Ein Bus mit 31 Flüchtlingen aus Bayern.
Außenpolitik

Kritik an Merkel: Flüchtlingsbus vor das Kanzleramt

Ein Lokalpolitiker fährt 31 Flüchtlinge mit dem Bus nach Berlin. Aus Protest: Er habe in seinem Landkreis nicht genug menschenwürdige Unterkünfte.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.