Wladimir Putin: Ein Glückspilz im Realitätsschock

Russian President Putin attends meeting with Greek President Pavlopoulos at Novo-Ogaryovo state residence outside Moscow
Russian President Putin attends meeting with Greek President Pavlopoulos at Novo-Ogaryovo state residence outside MoscowREUTERS
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Nicht Wladimir Putin hat Russland groß gemacht. Der Ölpreis hat Putin nach oben gespült. Weil er in den fetten Zeiten reformfaul war, fehlen dem Land heute die Wachstumsmotoren.

Es ist eine Mischung aus Ohnmacht, Unterwürfigkeit und archaischer Namenstabuisierung, wenn die Russen WWP sagen. So wie Untergebene schon im alten Rom einfach Er sagten, wenn sie von ihrem Hausherrn sprachen. Die Russen hingegen sagen WWP, wenn sie den Herrn des Landes, ihren Präsidenten, meinen. Kein ausgeklügeltes Akronym, fürwahr. Nur die Initialen aus Vor-, Vaters- und Familienname: W(ladimir) W(ladimirowitsch) P(utin). Und doch ehrfurchteinflößend, weil klanglich hart. Putin, der Unumschränkte. Putin, der Allmächtige.

Welch Zufall, dass das gleiche Akronym im Russischen auch das Bruttoinlandsprodukt (BIP) bezeichnet. W(alovyj) W(nutrenniy) P(rodukt) heißt die Kennzahl, die die gesamte Wirtschaftsleistung eines Jahres angibt.

Da kann es schon zu Verwechslungen kommen. Noch schlimmer aber zur Annahme, dass das eine ursächlich mit dem anderen zu tun habe. Und dass Putin es gewesen sei, der Russland nicht nur internationale Bedeutung zurückgegeben, sondern nach der Depression der 1990er-Jahre auch die Wirtschaft über ein Jahrzehnt lang zum Erblühen gebracht habe, ehe sie vor über zwei Jahren in eine Stagnation und im Vorjahr in eine tiefe Rezession zu schlittern begonnen hat. WWP machte WWP, so das hartnäckige Narrativ.

In Wahrheit freilich ist die Sache komplizierter. Bei genauem Hinsehen erscheint Putin nicht als Wunderwuzzi, sondern als einer der größten Glücksritter der Geschichte, geht sein Höhenflug doch mit dem Rohstoffboom der Nullerjahre einher. Man braucht dafür gar nicht Putins jahrelang inhaftierten Gegner Michail Chodorkowski zu bemühen, der vor einiger Zeit im Interview mit dem „Spiegel“ festhielt: „Er (Putin, Anm.) hat viel Glück gehabt bisher. Der hohe Ölpreis hat ihm geholfen, seine vielen Fehler zu maskieren.“

Beschränkter Elan.
Hatte der Preis für die Ölsorte Brent knapp vor Putins Amtsantritt im Jahr 2000 noch unter 20 Dollar je Barrel und damit tiefer als jetzt gelegen, so lag er neun Jahre später beim Fünffachen. Damit stieg im selben Zeitraum auch das Fördervolumen um 60 Prozent. Und das BIP, Russisch WWP, gar um 83 Prozent. „Dies war jedoch kein Erfolg von Putins Wirtschaftspolitik, sondern des gewaltigen Ölpreisanstiegs auf dem Weltmarkt“, schrieb Roland Götz, vormals Russland-Experte der Stiftung für Wissenschaft und Politik in Berlin, voriges Jahr in der Zeitschrift „Osteuropa“.

Der Boom hätte Putin eigentlich genug Spielraum für Wirtschaftsreformen gegeben. Nur zu einem geringen Teil hat er ihn auch genutzt. So für die wichtige Landreform 2002, die Privatleuten zum ersten Mal seit 1917 den Kauf von Agrarland ermöglichte. Bezeichnend, dass sich sein Reformwille auf die erste Amtszeit bis 2004 beschränkte. Immerhin hat er Milliarden Petrodollars zur Bedienung der Auslandsschulden verwendet bzw. einen Reservefonds eingerichtet. Man solle Putins Wirken nicht kleinreden, meinte daher kürzlich sein Wirtschaftsberater Andrej Belousov im Interview mit der „Presse“: „Entscheidend war die Entschlossenheit zu handeln.“

Schon ab seiner zweiten Amtszeit aber, als der Ölpreis richtig hoch und die Oligarchen von den Schaltstellen der Politik vertrieben waren, konnte sich der Kreml-Chef auf die Machtabsicherung und die großzügige Verteilung von Geldern an kurzfristig unzufriedene Gruppen konzentrieren. Großer Widerstand im Volk kam ohnehin nicht auf, zumal so gut wie alle Schichten von den Öleinnahmen profitierten. Selbst die von den Hardlinern diktierte Eindämmung der Privatwirtschaft zugunsten eines ineffizienteren Staatssektors fiel Unkenrufen zum Trotz lang nicht negativ ins Gewicht. Die Wirtschaft lief auch so wie von selbst und wurde von der globalen Finanzkrise nur kurz zurückgeworfen. Das verdankte sie auch dem Privatkonsum, der von 1999 bis 2013 um das Zweieinhalbfache anstieg, so Michail Dmitriev, bis zum Vorjahr Chef des russischen Zentrums für strategische Studien: „Aber die Investitionen stagnierten.“ Und so ist das gesamte Wachstumsmodell nun mitten im Umbruch.

Böses Erwachen. Es ist dieses böse Erwachen, das Putin und seinen Leuten die Sorgenfalten ins Gesicht treibt. Ab 2013 schaffte Russland, trotz damals hohen Ölpreises, nur noch ein Wachstum von 1,3 Prozent, das sich 2014 halbierte und 2015 zu einer Kontraktion um vier Prozent führte. Für heuer ist eine weitere Rezession prognostiziert. In Dollar sind die Löhne auf das Niveau von 2005 gefallen, das BIP ebenso. 280 Mrd. Dollar betrug der Kapitalabfluss in den vergangenen drei Jahren. Eine neue Emigrationswelle läuft.

Die Erklärungen, warum Russland hart gelandet ist, sind im Detail vielfältig. Und doch herrscht Einigkeit darin, was Wladimir Mau, Rektor der staatlichen Akademie für Volkswirtschaften, konstatiert: Die Boomphase des Wiederaufbaus nach dem Kollaps der Sowjetunion sei der starken Nachfrage und freien Produktionskapazitäten zu verdanken. Die Löhne seien schneller gestiegen als die Produktivität, was auf Kosten der Investitionen gegangen sei. Weil alles Augenmerk auf sozialpolitische Stabilität gerichtet gewesen sei, sei nicht auf das Investitionsklima (etwa Beseitigung von Beamtenwillkür und Korruption) geachtet worden.

Der Befreiungsschlag steht also aus. „Die Machthaber hätten Zeit und Ressourcen gehabt, um Russland, wenn schon nicht in ein zweites China, so in neue Emirate zu verwandeln, indem sie die Basis für einen jahrzehntelangen Wirtschaftsaufschwung gelegt hätten“, so Wladimir Inozemcev, Direktor des Moskauer Zentrums für Studien zur postindustriellen Gesellschaft.

15 Jahre noch, sagte dieser Tage Wirtschaftsminister Alexej Uljukajew: Dann würden die Russen „in einem komfortablen Land“ leben. Derweil zählt Putin auf die Geduld des Volkes. Dieses nämlich glaubt mehrheitlich, dass WWP-Putin dem Land das lange Zeit hohe WWP-Wachstum beschert hat – und an der jetzigen Rezession der verschwörerische Westen schuld ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.01.2016)

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