Die neue Brutalität des Kurdenkriegs

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TOPSHOT-TURKEY-KURDS-UNREST-CURFEW(c) APA/AFP/ILYAS AKENGIN
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Silopi und andere Städte des Südostens gleichen nach wochenlangem Beschuss einem Trümmerfeld. Panzer und schwere Waffen kommen immer wieder in Wohngebieten zum Einsatz.

Häuser mit riesigen Einschlagslöchern von Raketen und Granaten, Straßen voller Schutt, verängstigte Bewohner: Nach einer einmonatigen Ausgangssperre und schweren Gefechten zwischen kurdischen Rebellen und türkischen Sicherheitskräften bietet die Stadt Silopi im Südosten der Türkei ein Bild der Verwüstung.

In verbissenen Kämpfen drängten türkische Soldaten in den vergangenen Wochen die Kämpfer der Rebellengruppe aus der Stadt. Nun gleicht Silopi einem Trümmerfeld. Angesichts der Zerstörungen klang der optimistische Kommentar von Gouverneur Ali Ihsan Su nach der Aufhebung der Ausgangssperre am Dienstag sehr merkwürdig: „Der Frieden ist wiederhergestellt.“ Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu sprach von einem Erfolg. Es gebe bereits Pläne für den Wiederaufbau, jubelte die regierungsnahe Presse.

Seit Monaten liefern sich türkische Sicherheitskräfte und PKK-Kämpfer mitten in dicht besiedelten Stadtvierteln in Südostanatolien schwere Gefechte. Die PKK hat im Kurdengebiet einseitig autonome Zonen ausgerufen, die sie mit Gräben und Barrikaden gegen den türkischen Staat durchzusetzen versucht. Ankara antwortet mit großflächigen Ausgehverboten und militärischer Gewalt. Mehr als 160 Zivilisten und viele Soldaten, Polizisten und PKK-Mitglieder sind seitdem getötet worden.

Das Beispiel Silopi zeigt, wie brutal dieser neue Kurdenkrieg geführt wird. „Hoffentlich müssen wir so etwas nicht noch einmal erleben“, sagte der Friseur Mesut Bilişik, dessen Laden bei den Gefechten beschädigt wurde, laut türkischen Medienberichten. Wohnhäuser, Krankenstationen, Geschäfte – vieles wurde in den Wochen der Kämpfe zerstört. Nach Aufhebung der bisher rund um die Uhr geltenden Ausgangssperre (ab sofort dürfen die Menschen zwischen fünf Uhr morgens und sechs Uhr abends ihre Häuser verlassen) bildeten sich vor Bankomaten lange Menschenschlangen.

Zivilisten als Zielscheibe?

Während Ankara von einem notwendigen Kampf gegen den PKK-Terror spricht, werfen Kurdenpolitiker den Sicherheitskräften schwere Menschenrechtsverletzungen vor. Soldaten der zweitstärksten Armee der Nato seien mitten in Wohngebieten mit Panzern und anderen schweren Waffen im Einsatz, sagte Feleknas Uca, eine in Deutschland geborene türkische Parlamentsabgeordnete, die für die Kurdenpartei HDP in der Volksvertretung von Ankara sitzt. Der Staat gehe nicht gegen die PKK vor, sondern gegen kurdische Zivilisten.

In anderen Städten Südostanatoliens sind die Ausgangssperren nach wie vor in Kraft. Der kurdische Parlamentsabgeordnete Faysal Sariyildiz berichtete am Mittwoch, er sei in der ebenfalls umkämpften Stadt Cizre von der Polizei beschossen worden, als er Tote und Verletzte aus einem belagerten Stadtteil holen wollte. Bei dem Beschuss wurden zehn Menschen verletzt, darunter der Kameramann eines regierungskritischen TV-Senders.

Fast 100.000 Menschen sind wegen der Kämpfe in den vergangenen Monaten bereits aus dem Kurdengebiet in andere Teile der Türkei geflohen. Nach Ansicht einiger Beobachter ist die Lage im Kurdengebiet, in dem bis zum Sommer die Hoffnung auf einen endgültigen Frieden zwischen dem Staat und der PKK vorherrschte, mancherorts inzwischen schlimmer als in den 1990er-Jahren, als die Kämpfe zwischen Armee und Rebellen ihren bisherigen Höhepunkt erlebten.

Der regierungskritische Journalist Kadri Gürsel vermutet, dass es der türkischen Führung in der neuen Auseinandersetzung weniger um die PKK als um die Umsetzung eines politischen Ziels geht. Ankara wolle mithilfe des unnachgiebigen Vorgehens im Kurdengebiet die Weichen für eine Verfassungsänderung zur Einführung eines Präsidialsystems stellen, schrieb Gürsel in einem Beitrag für die Website „Diken“.

Gürsel verwies darauf, dass Präsident Recep Tayyip Erdoğan im vergangenen Jahr seiner Partei AKP mit einem harten Kurs in der Kurdenfrage den Sieg bei der Parlamentsneuwahl im November ermöglicht habe. Dieser Kurs werde fortgesetzt, bis Erdoğan die nötige Mehrheit im Parlament für einen Systemwechsel habe.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.01.2016)

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