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Reisinger: "Ich spielte auch Klavierdeckel"

Wolfgang Reisinger
Wolfgang Reisinger(c) http://www.wolfgang-reisinger.com/
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Wolfgang Reisinger steht mit 60 im Zenit seiner Karriere. Vor einer Konzertserie im Porgy & Bess sprach er mit der „Presse“ über Jazz, Beatles und Wien.

Die Presse: „It takes an intelligent ear to listen to jazz“, meinte der Schlagzeuger Art Blakey. Ruiniert heutiges Radio junge Ohren für den Jazz?

Wolfgang Reisinger: Es beleidigt sie zumindest schwer. Schlimm ist es, wenn Junge nichts anderes als Kommerzradio kennen. Ö1 ist dagegen eine Schule des Hörens. Da kann man durchatmen, wird angeregt.

Wie kamen Sie zum Schlagzeug?

Ganz allmählich. Ich spielte Klavier, aber auch Klavierdeckel. Mit ihm alberte ich gern herum. Zu einer Zeit, als Bands wie The Nice und Ekseption modern waren, war ich Pianist in einer Band, die so etwas spielte. Der Schlagzeuger war nicht besonders gut. Also hab ich es probiert und konnte es auf Anhieb besser. Da dachte ich mir: Herrlich, zehn Jahre lang wirst du mit Klavierüben malträtiert, dann setzt du dich ans Schlagzeug und spielst ganz einfach!

Hat Sie das Klavierspiel also geprägt in ihrer Konzeption als Schlagzeuger?

Auf jeden Fall. Ich habe aber immer auf die ganze Musik gehört, nie die Rhythmuspatterns isoliert.

Welche Erinnerungen haben Sie an die Wiener Szene der Siebzigerjahre?

Einer der Hotspots war die Camera. Der ungarische Gypsy-Gitarrist Costa Lukacs war damals eine prägende Figur. Er stieg manchmal bei uns ein. Es ging die Mär, dass ihn Oscar Peterson zum Spielen eingeladen hätte, er aber nicht hingefahren sei, weil er Verwandtenbesuch bekommen hätte. Karl Ratzer galt damals als „der Bua, der ned wirklich spielen kann“. Dann gab's die Jazzspelunke, Willis Rumpelkammer und das wunderbare Haluks Halbmond in der Burggasse. Dort hab ich einmal in der Woche mit Peter Ponger und Hari Rettenbacher gespielt.

Avantgardist Wolfgang Poor verdingte sich einmal bei Waterloo & Robinson. Mussten Sie je Vergleichbares machen?

Ganz so arg war es bei mir nicht. Aber mit Ludwig Hirsch habe ich gearbeitet. „Zum Himmel hoch“ hieß das Programm. Diese vermeintlich simplen Lieder waren gar nicht so leicht zu spielen. Das war eine gute Lektion für uns Jazzer. Es spielten ja auch Uli Scherer und Wolfgang Puschnig mit. Auf jeden Fall hab ich damals zum ersten Mal richtig gut Geld verdient.

Konnten Sie immer von der Musik leben?

Natürlich nicht. Eine Zeitlang hab ich in einer noblen Firma als Mietwagenchauffeur gearbeitet. Der Mercedes, den ich fuhr, hatte ein Lenkrad mit Aufprallschutz. Auf dem ließ sich gut üben. Ich hatte meine Sticks immer mit und nützte so die Wartezeiten.

Wie kamen Sie überhaupt zum Jazz?

Über den Umweg von Klassik und Pop. Ich bin immer noch glühender Fan der Beatles. Ich kann jedes Lied von ihnen auswendig. Jazzmäßig war John Surmans Trio mit Stu Martin und Barre Phillips prägend. Und lange war Jack De Johnette mein großer Hero.

Was zeichnet den Jazz aus, der in Wien gemacht wird?

Hiesiger Jazz hat oft etwas Leises und Schöngeistiges, ist beeinflusst von der Klassik und der Neuen Musik. Das schätze ich sehr.

Was ist das Fundament Ihrer internationalen Beliebtheit?

Empathie. Ich erfühle, was die Solisten brauchen, um effektvoll zu klingen. Dave Liebman hat einmal gemeint, ich sei im Grunde ein Komponist, der zufällig Schlagzeuger ist. Diese Beschreibung mag ich.

John Coltrane sagte einmal, dass man, wenn man nur aufrichtig genug ist, auch ein Schuhband zum Instrument machen kann. Stimmt das?

Das ist typisch Coltrane. Er sprach von Aufrichtigkeit, wo andere vielleicht nur von Einfallsreichtum oder Chuzpe sprechen würden. So ein Schuhband könnte ja auch zum Schmäh verkommen. Bei Coltrane natürlich nicht. Im Jazz ist das Risiko essenziell. Passieren Fehler, muss man etwas Gutes aus ihnen machen.

Porträt Wolfgang Reisinger: 21. bis 23. Jänner im Porgy & Bess, mit Dave Liebman, Jean-Paul Céléa u. v. a.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.01.2016)

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