Erste Dominoeffekte auf der Balkanroute

A Picture And Its Story: Migrants struggle through Balkans winter
A Picture And Its Story: Migrants struggle through Balkans winter(c) REUTERS (MARKO DJURICA)
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Als Reaktion auf die Entscheidung in Wien lässt Serbien nur noch Flüchtlinge ins Land, die in Österreich und Deutschland um Asyl ansuchen wollen. Mazedonien schließt die Grenze zu Griechenland.

Belgrad. Das Ansinnen Österreichs, den Zuzug von Asylwerbern mit eine Obergrenze drosseln zu wollen, hat nun zu einem ersten Dominoeffekt in Südosteuropa geführt. Serbiens Arbeitsminister, Aleksandar Vullin, kündigte am Mittwoch an, nur noch Flüchtlinge einreisen zu lassen, die in Österreich oder Deutschland um Asyl ansuchen wollen. Damit reagiere man auf die Entscheidung der österreichischen Regierung. Mittwochnachmittag machte dann Mazedonien die Grenze zu Griechenland dicht. „Die Grenze ist geschlossen“, sagte ein ranghoher Polizeivertreter. Aus Griechenland kommende Flüchtlinge dürften nicht mehr einreisen. Nach Angaben der griechischen Polizei sitzen nun 600 Flüchtlinge aus Syrien, dem Irak und Afghanistan im Grenzgebiet fest.

Überraschend kam die Ankündigung Wiens, die Asylbewerberzahlen deckeln zu wollen, für die Anrainerstaaten auf der Balkanroute nicht. Schon seit Tagen stand Sloweniens Premier, Miro Cerar, in ständigem Kontakt mit Österreichs Bundeskanzler, Werner Faymann. Sobald Österreich Maßnahmen zur Reduzierung des Flüchtlingszustroms ergreife, werde Slowenien „adäquat reagieren müssen“ – und seinerseits die Einreise von Flüchtlingen aus Kroatien „mindern“, hatte Cerar bereits am Dienstagabend angekündigt. Auch in Kroatien, wo die neue Regierung am Freitag vereidigt werden soll, scheint man fest entschlossen, einen möglichen Rückstau im eigenen Land zu vermeiden. „Wenn Österreich und Slowenien die Grenzen schließen, wird das auch Kroatien tun müssen“, erklärte Miro Kovač, der internationale Sekretär der neuen Regierungspartei, HDZ: Sein Land werde nicht zum „Auffanglager der Migranten“ werden.

Serbiens Möglichkeiten sind begrenzt

„Wir werden unsere Interessen schützen“, erklärte auch Serbiens Premier, Aleksander Vučić. Zwar hat Vučić angekündigt, der mazedonischen Polizei an der Grenze zu Griechenland mit der Entsendung von Beamten „noch mehr zu helfen“. Doch die Möglichkeiten Belgrads, die zu erwartende Verstärkung des Flüchtlingsdrucks nach Süden weiterzuleiten, sind begrenzt.

Zum einen gibt es mit Mazedonien kein Rückführungsabkommen von Flüchtlingen. Zum anderen haben Grenzzäune in Serbiens Dreiländereck zu Mazedonien und dem Kosovo keinen Sinn. Etwaige Barrieren zu Mazedonien könnten die gut entwickelten Schleppernetzwerke leicht über den kleinen Umweg Kosovo umgehen. Selbst falls gewollt, kommen Zäune an der „administrativen Linie“ zum Kosovo für Serbien schon allein aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht infrage: Noch immer hat Belgrad die Eigenstaatlichkeit seiner ehemaligen Provinz nicht anerkannt – und kann sich auch darum nur schlecht von ihr abzäunen.

Radoš Djurović, Direktor des Zentrums zum Schutz für Asylsuchende in Belgrad, rechnet mit einem Dominoeffekt in der Region, der sich im Versuch verstärkter Grenzsicherungen der einzelnen Länder und des Wiederauflebens der Schleppernetzwerke äußern werde. Jeder Staat werde dabei nur an sich selbst denken – und die Hauptlast der Flüchtlingskrise auf dem Balkan werde wohl auch wegen der EU-Ambitionen Belgrad tragen müssen: „Als EU-Kandidat wird Serbien kooperativ sein müssen, kann aber den Druck nicht weitergeben. Die Flüchtlinge werden weiter durch das Land ziehen, aber sich länger hier aufhalten.“

Neue Reiseroute über Rumänien

Neue Routen illegal in Serbien eingereister Flüchtlinge zeichnen sich laut Djurović schon jetzt ab. Flüchtlinge, denen wegen ihrer Herkunft im serbischen Šid das Besteigen der Züge nach Kroatien verwehrt werde, würden nun vermehrt versuchen, über Rumänien und Ungarn weiterzureisen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.01.2016)

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