„Cemetery of Splendour“: In Thailand, zwischen Leben und Tod

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Seelen von Soldaten fechten jenseitige Kriege aus, und Neonlicht soll Träumer ruhigstellen: „Cemetery of Splendour“ von Apichatpong Weerasethakul ist quasi die buddhistische Variante eines David-Lynch-Films. Faszinierend.

Das Leben, ein Traum: Das wäre ein ideales Epigraf für das Œuvre des thailändischen Regisseurs Apichatpong Weerasethakul. Kaum ein zeitgenössischer Kinokünstler hat so viel dazu beigetragen, Grenzen zu verwischen – zwischen Dokument und Fiktion, Fakt und Phantasma, Erzähler und Figur. Mit unprätentiöser Selbstverständlichkeit wandeln seine wundersamen Werke zwischen Mythen und Legenden, Erfahrung und Erinnerung, Schönheit und Schrecken, Vergangenheit und Gegenwart. Spätestens seit seinem Cannes-Sieg mit „Uncle Boonmee Who Can Recall His Past Lives“ (2010) ist Weerasethakul eine fixe Größe im Weltkino-Pantheon, wenngleich sein Schaffen viele vor den Kopf stößt: Von den Gepflogenheiten traditioneller Erzählware sind diese somnambulen Filmgebilde weit entfernt. Ihr offener, tiefenentspannter Bildsprachduktus fordert Aufmerksamkeit und Geduld – ganz wie bei Meditation gibt es keinen direkten Weg ins Nirwana. Sein neuester Film heißt „Cemetery of Splendour“ (Friedhof der Herrlichkeit), und wie immer ist alles anders, obwohl es beim Alten bleibt.

Mysteriöse Schlafkrankheit

Den trügerisch lauschigen Schauplatz stellt diesmal Weerasethakuls Heimatstadt, Khon Kaen im Nordosten Thailands. Dort steht ein lichtdurchflutetes Schulgebäude, das von der Armee zum Lazarett umfunktioniert wurde. Zahlreiche Wehrdienstleister leiden an einer mysteriösen Schlafkrankheit und warten auf Behandlung, während draußen militärbewachte Bagger das Erdreich umpflügen – weshalb, ist (wie so vieles in diesem Film) nicht ganz klar. Hier lebt auch Weerasethakuls Stammschauspielerin Jenjira Pongpas Widner. Die trotz Hinkebeins rüstige Dame spielt sich selbst und hat wesentlich am filigranen Handlungsgewebe mitgestickt. Itt, einer der schläfrigen Soldaten, hat es ihr angetan. Zusammen mit Keng, die sich als Medium in die Gedanken der Bettlägerigen einfühlen kann, nimmt sie sich seiner an. In Itts Wachphasen gehen sie gemeinsam aus, erkunden die Umgebung und kehren in Erzählungen ihr Inneres nach außen.

Doch die Innenschau ist von der Außenschau nicht wirklich zu unterscheiden, alles fließt ineinander über, es ist gleichsam die buddhistische Variante eines David-Lynch-Films. Exemplarisch ist eine Szene, in der Jenjira mit Keng durch einen Park flaniert – aber eigentlich ist es der eingenickte Itt, der in Kengs Körper mitspaziert, und zwar durch einen prunkvollen Palast aus längst vergangenen Tagen. So berichtet er, also sie, seiner Begleiterin, als wäre es das Natürlichste auf der Welt: Hier ist (Präsens!) das Fußbad, hier das Schlossportal. Eigentlich dreht Weerasethakul überhaupt keine Szenen, er dreht Szenerien, Schwellenzustände, schleichende Übergänge. Das Tondesign kennt keine harten Schnitte, jede Einstellung ist hörbar Teil des gleichen, mystisch-prosaischen Mikrokosmos, den der mexikanische Kameramann Diego García in tiefenscharfen Digitaltotalen nach allen Seiten hin offen hält. Wie im Wachtraum bricht auch das Fantastische unvermittelt ein: Als Jenjira im Schatten einer Laube zu Mittag isst, setzen sich zwei freundliche Frauen dazu und stellen sich als Göttinnen vor, heute einmal in Zivil unterwegs – warum auch nicht? Die Oberflächen dieser Psychogeografie strahlen Ruhe, Zärtlichkeit und Wärme aus. Aber dahinter scheinen – deutlicher als in anderen Filmen Weerasethakuls – Abgründe durch. Die Empfänglichkeit des Regisseurs für die spirituellen Traditionen seiner Heimat (deren sich auch das populäre Kino Thailands gern bedient) hat ihn nie davon abgehalten, dessen politische Realitäten zu thematisieren.

In Thailand darf der Film nicht laufen

Wie sich herausstellt, fechten die Seelen der Soldaten jenseitige Kriege toter Könige aus – eine Anspielung auf die tumultuöse Historie des Landes. Ärzte installieren fluoreszierende Neonröhren, die Träume beruhigen (eher: ruhigstellen) sollen. Im Schimmer dieser Lampen wirken Ventilatoren wie hypnotische Drehscheiben, und bald scheint ganz Khon Kaen dem Bann der Traumdämpfer verfallen. Menschen erheben sich im Kino für die Nationalhymne, die aber nie ertönt; das Publikum stiert auf eine leere Leinwand.

Subtile politische Kritik dieser Art findet sich oft in diesem Film. Meistens ist sie surrealistisch chiffriert, weil die Schrauben der Zensur seit der Machtübernahme der Militärjunta im Mai 2014 stetig angezogen werden – sogar Facebook-Witze über den Lieblingshund des Monarchen führen ins Gefängnis. Ein thailändischer Kritiker nannte „Cemetery of Splendour“ einen sanften Kampfschrei. Inzwischen stehen die Chancen, dass er überhaupt in Thailand zu sehen sein wird, schlecht, und Weerasethakul will seinen Arbeitsschwerpunkt nach Südamerika verlagern. Tatsächlich spricht große Verzweiflung aus dem letzten Bild des Films: Was nützt ein Traum, aus dem man nicht aufwachen kann?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.01.2016)

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