Fall Litwinenko: London gab Putin Mitschuld

Alexander Litwinenkos Witwe, Marina, trat in London vor die Medien. Sie zeigte sich durch den Untersuchungsbericht bestätigt.
Alexander Litwinenkos Witwe, Marina, trat in London vor die Medien. Sie zeigte sich durch den Untersuchungsbericht bestätigt.(c) REUTERS (TOBY MELVILLE)
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Ein Untersuchungsbericht stellte fest, dass Russlands Präsident „wahrscheinlich“ die Vergiftung des Ex-Agenten in London bewilligt habe. Moskau reagierte wütend.

London. Neun Jahre nach dem Tod des früheren russischen Geheimagenten Alexander Litwinenko in London hat eine britische Gerichtsuntersuchung schwere Vorwürfe gegen die oberste Führung in Moskau erhoben. Er halte es für „wahrscheinlich“, dass der russische Präsident, Wladimir Putin, und der damalige Geheimdienstchef, Nikolaj Patruschew, die Ermordung des Überläufers bewilligt hätten, schrieb der britische Richter Robert Owen in seinem im Jänner 2016 veröffentlichten Bericht.

Russland wies seine Schlussfolgerungen als „politisiert“ zurück, eine Kreml-Sprecherin monierte, dass der Bericht nicht transparent durchgeführt worden sei. Die damalige britische Innenministerin, Theresa May, hingegen sprach vor dem Unterhaus von einem „krassen und inakzeptablen“ Bruch des Völkerrechts. Eine Sprecherin des Ex-Premiers David Cameron nannte das Ergebnis „verstörend“ und kündigte weitere Schritte an, die man demnächst noch konkreter formulieren werde.

Litwinenko war am 23. November 2006 in London mehrere Tage nach einem Treffen in einer Hotelbar mit den russischen Staatsbürgern Andrej Lugowoj und Dmirtij Kowtun zu Monatsbeginn verstorben. Auf dem Sterbebett bezichtigte er die russische Führung, seine Ermordung geplant zu haben. Die Autopsie ergab, dass Litwinenko an einer Vergiftung durch ein radioaktives chemisches Element starb. Der Untersuchungsbericht stellt dazu fest: „Wir fanden eine hochgradige Verstrahlung der Bar, in der das Treffen stattfand, mit Polonium 210.“ Am höchsten sei sie in der von Litwinenko benützten Teetasse gewesen. Nach der Vergiftung fielen ihm die Haare aus, es kam zu Blutungen etwa aus Mund und Nase.

Wenig Echo aus dem Westen

Eine unbeabsichtigte Einnahme des giftigen Materials oder einen Selbstmord Litwinenkos schließt der Bericht aus. „Ich bin sicher, dass er mit Absicht von anderen vergiftet wurde“, schreibt Richter Owen in seinem Bericht, für den unter anderem 62 Zeugen vernommen und Aufnahmen von Überwachungskameras ausgewertet wurden. Über die Täter besteht nach Ansicht Owens kein Zweifel: „Ich bin sicher, dass Lugowoj und Kowtun das Polonium 210 in die Teekanne gegeben haben mit der Absicht, Litwinenko zu vergiften.“ Die Verwendung von Polonium 210, das nur aus einem Atomreaktor kommen konnte, sei „ein sehr starkes Indiz für eine staatliche Verwicklung“.

Der frühere russische Geheimdienstagent Litwinenko hatte sich im Jahr 2000 nach kritischen Äußerungen nach Großbritannien absetzen können, wo er politisches Asyl erhielt. Die britische Staatsbürgerschaft erhielt er kurz vor seinem Tod. Er arbeitete gelegentlich für den britischen Auslandsgeheimdienst MI6 und gehörte zum Kreis um den früheren Oligarchen Boris Beresowskij, einen ehemaligen Weggefährten Putins, der nach dem Bruch mit dem Präsidenten ebenfalls Asyl in Großbritannien erhielt. Litwinenko publizierte zwei Putin-kritische Bücher, die im Westen wenig Echo fanden.

Umso mehr missfielen sie offenbar dem Kreml. Nach britischen Angaben wurden Lugowoj, ein früherer Sicherheitsmann, und Kowtun, ein angeblicher Geschäftsmann, mit dem Auftrag nach London geschickt, Litwinenko für immer zum Schweigen zu bringen. Der tödliche Plan wurde umgesetzt, aber die Anschuldigungen, die Litwinenko in den drei Wochen seines Todeskampfs gegen den Kreml und Putin machte, wurden von der Weltpresse nahezu live aus dem University Hospital London übertragen.

„Armseliger Versuch“

Sein Tod führte zu schweren diplomatischen Verstimmungen zwischen London und Moskau. Nach einer Polizeiuntersuchung stellte die britische Staatsanwaltschaft 2007 einen Auslieferungsantrag gegen Lugowoj und Kowtun, den Moskau zurückwies. Dennoch setzte Litwinenkos Witwe, Marina, ihren Kampf fort, die Mörder ihres Mannes zur Rechenschaft zu ziehen.

Nach Veröffentlichung des Berichts zeigte sie sich zufrieden, dass „die Worte meines Mannes nun bestätigt wurden“. Der Hauptbeschuldigte Lugowoj meinte hingegen, der Bericht sei „absurd“ und ein „armseliger Versuch Londons, seine politischen Ambitionen mit einer Leiche im Keller zu befördern“.

Auf einen Blick

Alexander Litwinenko. Der ehemalige Agent des russischen Geheimdienstes flieht nach London, nachdem er eigenen Angaben zufolge den Auftrag bekommt, den Oligarchen Boris Beresowskij zu ermorden. In London äußert sich Litwinenko oft kritisch dem Kreml gegenüber und veröffentlicht Bücher. 2006 wird er in einem Londoner Hotel mit Polonium 210 vergiftet und stirbt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.01.2016)

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