Die Mitschuld der Medien am verrückten Willkommens-Karneval

Die Geschichte der gegenwärtigen Völkerwanderung ist auch eine Geschichte vom Versagen der Medien. Es wäre höchste Zeit für eine Aufarbeitung dieses Versagens.

Wer regelmäßig die Hervorbringungen deutscher Medien konsumiert, der kann seit Kurzem einen erstaunlichen Klimawandel feststellen. Wo bisher nur traurige Kinderaugen Berichte über Migranten illustrierten, Kriminalität unter „Schutzsuchenden“ nonchalant ignoriert wurde, afghanische Analphabeten als Lösung des demografischen Problems dargestellt und ganz allgemein die jetzige Völkerwanderung als das Beste dargestellt wurde, was Deutschland seit dem Ableben Adolf Hitlers zugestoßen ist, zieht langsam wieder so etwas wie Realismus ein.

Plötzlich poppen Tag für Tag Berichte über Vergewaltigungen in diesem Milieu auf, wird die Frage der beruflichen Qualifikation der Zuwanderer ernsthaft erörtert und dürfen sogar Begriffe wie Grenzzaun verwendet werden, ohne dass sofort die zu spät geborenen Antifaschisten Nazi-Alarm auslösen.

Ganz offensichtlich beginnt die sogenannte vierte Macht im Staate gerade ein heftiges Wendemanöver. Um nicht von den herabstürzenden Trümmern des gerade kollabierenden willkommensindustriellen Komplexes erschlagen zu werden, entsorgen die intelligenteren Medienmacher gerade die publizistischen Artefakte der Willkommenskultur und tun zunehmend wieder, was ihr Job ist: die Wirklichkeit abzubilden, so wie sie ist.

Zusammen mit der sogenannten Zivilgesellschaft wachen sie aus einem kollektiven Rausch auf, der im vergangenen Sommer begonnen hat und das deutschsprachige Mitteleuropa in eine Art moralisch hyperventilierende Raserei versetzt hat. Unvergesslich wird bleiben, wie Frauen in sommerlich knapper Kleidung an den Bahnhöfen jungen arabischen Männern aus einer frauenverachtenden Kultur „Welcome Kisses“ darboten, Symbol einer durch und durch infantilisierten westlichen Gesellschaft ohne Verstand und ohne Verständnis.

Doch längst sind die willkommenskulturellen Winkelemente entsorgt. Stattdessen wird langsam sichtbar, welchen Schaden dieser irrsinnige Karneval der Grenzenlosigkeit angerichtet hat und noch anrichten wird – nicht zuletzt dank eines Versagens vieler Medien, die sich ohne Not zum Teil dieser kollektiven Psychose gemacht haben, anstatt sie zu diagnostizieren.

Die Medien trifft damit eine gewisse Mitverantwortung, die „aufzuarbeiten“ ihnen gut zu Gesichte stünde, so wie sie ja auch sonst bei jedem größeren Institutionenversagen schnell mit der Forderung nach „Aufarbeitung“ zur Stelle sind.

Ansatzweise und punktuell ist das in Deutschland auch schon geschehen, wenn auch noch nicht großflächig und systemisch. Immerhin hat, schon im Herbst, ARD-Chefredakteur Kai Gniffke Manipulationen zugegeben: „Wenn Kameraleute Flüchtlinge filmen, suchen sie sich Familien mit kleinen Kindern und großen Kulleraugen aus.“ Tatsache sei aber, dass „80 Prozent der Flüchtlinge junge, kräftig gebaute alleinstehende Männer sind“. Auch das ZDF musste sich mittlerweile für seine skandalös langsame Berichterstattung über die Kölner Exzesse entschuldigen.

Es ist freilich nicht Läuterung, sondern eher Existenzangst, die manche Medien nun wieder in die Nähe des Pfades journalistischer Tugend zurückführt. Denn dank des Info-Dschungels Internet kommen immer mehr mediale Manipulationen ans Licht, die Deutungshoheit der traditionellen Medien ist Geschichte. Sie spüren und merken gerade: Wenn wir unser Publikum nicht informieren, sondern umerziehen wollen, und dazu auch noch vertuschen und verschweigen, dann werden uns die verbliebenen Kunden mit nassen Fetzen davonjagen.

Gerade den öffentlich-rechtlichen Leitmedien – aber nicht nur ihnen – stünde es gut an, ihre Teilhabe am willkommenskulturellen Karneval einmal aufzuarbeiten und plausibel zu machen, wie sie zumindest eine Wiederholung dieses partiellen Versagens hintanhalten wollen. Opportunismusgetriebener Klimawandel allein ist da zu wenig.

Zum Autor

Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien. Er leitet „ortneronline. Das Zentralorgan des
Neoliberalismus“.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.01.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.