Bachmannpreis 2009: „Stechen, Ziepen und Rumoren“

(c) AP (Gert Eggenberger)
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Der Bachmannpreis 2009 hat mit Jens Petersen einen würdigen Sieger. Doch am Schluss des Wettbewerbs musste man am Verständnis der Jury zweifeln.

Nie hat er solche Krämpfe gehabt, nie war sein Kopf so leer und dabei so schwer, so erfüllt von Stechen, Ziepen und diesem Rumoren“, heißt es auf der ersten Seite des Textes, mit dem Jens Petersen den Bachmann-Preis (dotiert mit 25.000 Euro) gewann. Es geht darin um Sterbehilfe: Ein Mann erschießt seine todkranke Geliebte und schafft es danach nicht wie geplant, sich selbst zu töten.

„Bis dass der Tod“, heißt der Auszug aus einem Roman, den Petersen in Klagenfurt vorlas. Mit dem Sterben kennt er sich aus, der 1976 bei Hamburg geborene Arzt und Autor. Als Neurologe weiß er, dass Siechtum eines geliebten Menschen eine unerträgliche psychische Belastung ist. Und Gift professioneller „Sterbehelfer“ keine Alternative darstellt: „All die Sekunden, in denen man weiß, dass man tot ist und doch noch lebt.“

Der Text Petersens löste nicht zuletzt deshalb Beklemmung aus, weil er im Präsens verfasst wurde. Als neunter Beitrag (von 14) verlesen, war er der erste in Gegenwartsform. Davor (und danach) war viel über Vergangenheit zu hören, von deutscher vor allem, um nicht zu sagen deutsch-deutscher. Das Gedenken an den Mauerfall vor 20 Jahren hat da seinen literarischen Niederschlag gefunden.

Etwa im Text „Heimgehen“ des sympathischen Ostdeutschen Karsten Krampitz, der mit einer religiös aufgeladenen „Märtyrer- und Spitzelgeschichte“ (Jurorin Feßmann) zum Publikumsliebling avancierte und den durch Internetabstimmung ermittelten Publikumspreis (7000 Euro) erhielt. Die Jury hatte ihn nicht einmal auf ihrer Short List. Der von der Schweizer Jurorin Hildegard Keller eingeladene Krampitz war den übrigen Juroren zu konturlos (Jandl), zu harmlos (Feßmann), zu bieder (Fleischanderl).

Noch weiter zurück in die Geschichte ging Ralf Bönt mit seinem Auszug aus der Novelle „Der Fotoeffekt“. Thematisch ähnlich, formal ganz anders als Daniel Kehlmann, befasst er sich mit Wissenschaftsgeschichte: mit der Geschichte des Michael Faraday, seiner Frau und Heinrich Hertz. Erzählt wird über den genialen Physiker, der sich bei seinen Experimenten mit Quecksilber vergiftete, aus der ungewöhnlichen Perspektive eines Phonons, eines Schallteilchens, das von Faraday entdeckt worden wäre, hätte er durch das Quecksilber nicht eine geistige Beeinträchtigung erlitten. Bönt galt zu Beginn der „Tage der deutschsprachigen Literatur“ als Favorit und bekam nun den Kelag-Preis (10.000 Euro)

Der 3sat-Preis (7500 Euro) geht an Gregor Sander mit seiner Ost-West-Beziehungsgeschichte „Winterfisch“. Darin wird eine Verschränkung zwischen dem politischen Schicksal eines Landes und individuellen Biografien hergestellt, meinte Juror Ijoma Mangold und befand, Sander mache zu wenig daraus. Hildegard Keller entgegnete, dass der Autor in die Hocke gehe und deshalb ganz nah dran sei an den Dingen. Nah dran war Sander jedenfalls am Publikum, das ihm lange applaudierte.

Warum nur eine Frau?

Zu diesem Zeitpunkt war zu befürchten, dass so wie im Vorjahr auch heuer keine Frau unter den Preisträgern sein würde. Doch dann ging es an die Nominierung des „Trostpreises“, des Ernst-Willner-Preises (7000 Euro). Drei Kandidatinnen und ein Kandidat traten gegeneinander an. Ins „Stechen“ kamen der Autor und eine der drei Autorinnen. Da das Ergebnis nicht „Fifty Fifty“ lauten konnte wie der Titel des Textes, der das Stechen gewann, wurde Katharina Born der vierte Preis zuerkannt. Die Tragik dieses Textes, so Feßmann, läge darin, dass der Tochter eines 68ers dasselbe widerfahre wie ihrer Mutter: die Demütigung durch einen abgelebten Liebhaber. Auch in dieser Geschichte geht es um deutsche Vergangenheit, diesfalls der 68-Bewegung und ihres Machismo. Diesen könnte man auch der Bachmannpreis-Jury unterstellen. Zwar ist geschlechtliche Ausgewogenheit sicher keine literarische Kategorie, dass aber die deutschsprachigen Autorinnen so viel schlechter sein sollen als ihre männlichen Kollegen, ist auch nicht überzeugend.

Überhaupt wartete das diesjährige Klagenfurter Wettlesen mit einigen Merkwürdigkeiten auf. Ging doch die Autorin, die während der Diskussion das meiste Lob erhalten hatte, leer aus. Zu Recht! Aber welches Licht wirft das auf die Jury?

Begonnen hat der Bachmann-Wettbewerb mit einem Knalleffekt, und mit einem solchen endete er: Vom Versagen der Politik war in der Eröffnungsrede Josef Winklers die Rede. Vom Versagen der Bachmannpreis-Jury sprach das Fachpublikum nach der letzten Lesung von Caterina Satanik. Blankes Entsetzen breitete sich nach dem Lob der Jury für Sataniks Text mit dem Titel „leben ist anders“ aus. Literatur auch, wollte man der 1976 geborenen Wienerin bereits nach dem ersten Satz zurufen: „Ich streichle noch immer über das fell vom hund“, hieß es da und täuschte mit Kleinschreibung eine Avantgarde vor, die der Text des Weiteren in keiner Weise einlöste. Im Gegenteil: Der Verdacht Karin Fleischanderls, die als einziges Jurymitglied den Text verworfen hat, bestätigte sich mit jedem Wort: dass Autorin und Erzählerin hier in eins fallen und der Text deshalb keine Rollenprosa, sondern Autobiografie ist. Gab es doch an keiner Stelle irgendeine Brechung oder Distanzierung der Autorin von ihrer Figur.

Naivität und Dümmlichkeit

Dass mit Ausnahme von Fleischanderl keiner in der Jury das Falsche im Ton dieser vermeintlichen Prosa hören, sondern „Leichtigkeit und Liebenswürdigkeit“ erkennen wollte, wo doch nur Naivität und Dümmlichkeit zu finden war, nannten etliche Fachleute unfassbar.

Fassungslos war auch die ehemalige Jurorin Daniela Strigl. Sie erklärte sich den Ausfall der Jury mit gruppendynamischen Prozessen: Hätte Meike Feßmann, die als erste Stellung nahm, den Text nicht gelobt und wäre er nicht als letzter verlesen worden, das Urteil wäre anders ausgefallen. Im Übrigen sei sie froh, kein Verdikt mehr fällen zu müssen, sondern sich den Luxus des Überlegens leisten zu dürfen.

Als durchgängiges Thema dieses Jahres nannte Juryvorsitzender Burkhard Spinnen die Debatte Realismus versus Moderne. Für ihn, der Caterina Satanik eingeladen hatte, war ihr Text ein Ausweg aus diesem Dilemma. In ihm geht es um den Umgang mit der Verletzung einer Frau, die von ihrem unterschwellig gewalttätigen Geliebten sitzengelassen wurde. Ebenso geht es in Andrea Winklers Text um das Verlassenwordensein einer Frau. Aber auf welch anderem formalen und sprachlichen Niveau! Dass die Jury an diesem in der Tradition der Moderne stehenden Text herummäkelte und jenen Sataniks ablobte, lässt die 33. Tage der deutschsprachigen Literatur in die Geschichte eingehen: als jenes Jahr, in dem die Bachmannpreis-Jury versuchte, die Literatur abzuschaffen.

DIE PREISTRÄGER

Jens Petersen, geboren 1976 in Pinneberg bei Hamburg, studierte Medizin. Derzeit Ausbildung zum Facharzt für Neurologie an der Universitätsklinik Zürich. Bücher u.a.: „Die Haushälterin“, „Je t'aime beaucoup“.

Ralf Bönt, geboren 1963 in Lich (Hessen), Ausbildung zum Autoschlosser, dann studierte er Physik. Lebt in Berlin. Bücher u.a. „Icks“, „Die Entdeckung des Lichts“.

Gregor Sander, geboren 1968 in Schwerin, Schlosserlehre, Studium der Medizin, Geschichte und Germanistik. Lebt in Berlin. Bücher u.a.: „Abwesend“.

Katharina Born, geboren 1973 in Berlin, Studium der Literaturwissenschaft. Lebt als freie Journalistin in Paris und in Deutschland.

Karsten Krampitz, Geboren 1969 in Rüdersdorf bei Berlin, Studium der Geschichte in Berlin, wo er als Autor, Texter und freier Journalist lebt. Bücher u.a.: „Affentöter“, „Ich werde dann gehen“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.06.2009)

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