Regierung bei Gesamtschule doch nicht auf Grüne angewiesen

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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ÖVP-Klubchef Reinhold Lopatka ist überzeugt, keine Zweidrittelmehrheit zu benötigen. Juristisch könnte das halten.

Die Einführung von Gesamtschul-Modellversuchen könnte einfacher sein als bisher gedacht. Denn zum Beschluss dürfte es – anders als stets angenommen – keine Zweidrittelmehrheit brauchen. So sieht es zumindest die ÖVP. Und auch Verfassungsjurist Bernd-Christian Funk hält das für plausibel.

Die Karten würden damit neu gemischt. Denn nach der Präsentation der zwischen SPÖ und ÖVP paktierten Bildungsreform am 17. November war klar, dass für den Beschluss der Bildungsreform im Parlament entweder die Zustimmung der Freiheitlichen oder der Grünen nötig wäre. Dass die FPÖ einer Reform, die unter anderem Modellversuche zur Gesamtschule ermöglicht, zustimmen würde, galt als ausgeschlossen. Und so war die Regierung den Grünen ausgeliefert. Die nützten das, um Bedingungen, wie die Aufhebung der 15-Prozent-Grenze für Gesamtschulversuche, zu stellen. Die Regierung hat auf Wunsch der ÖVP nämlich eine Obergrenze festgeschrieben. Demnach darf die Gesamtschule in keinem Bundesland auf mehr als 15 Prozent der Schulen bzw. der Schüler ausgeweitet werden.

Die ÖVP löst sich nun mit einem Trick aus dem Würgegriff der Grünen: Es bräuchte nämlich nur für bestimmte Punkte der Bildungsreform, wie etwa für die Einführung der Bildungsdirektionen, eine Zweidrittelmehrheit. Und die Gesamtschule gehöre da nicht dazu. „Wir (SPÖ und ÖVP, Anm.) können die Errichtung von Modellregionen allein beschließen. Das sagen mir unsere Juristen“, so ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka. Tatsächlich unterliegen nur bestimmte Schulgesetze der Zweidrittelmehrheit. Zur Gesamtschule wurde darin Folgendes festgehalten: „Die Gesetzgebung hat ein differenziertes Schulsystem vorzusehen, [. . .], wobei bei den Sekundarschulen eine weitere angemessene Differenzierung vorzusehen ist.“

Doch darüber, was eine „angemessene Differenzierung“ ist, scheiden sich die Geister. Die Verfassungsjuristen Funk, Theodor Öhlinger und Heinz Mayer sind sich auf Anfrage der „Presse“ zumindest in einem einig: Eine flächendeckende Einführung der Gesamtschule würde sehr wohl einer Zweidrittelmehrheit unterliegen. Inwieweit das auch für eine Ausdehnung von maximal 15 Prozent, wie das SPÖ und ÖVP planen, gilt, beurteilen die Experten jedoch unterschiedlich: „Es handelt sich um eine einschneidende Änderung. Deshalb braucht es zweifellos eine Zweidrittelmehrheit“, sagt Öhlinger. „Ich halte die Zweidrittelmehrheit in diesem Fall nicht für notwendig“, widerspricht Funk. Selbst im roten Bildungsministerium sieht man das Ganze differenziert: „Es gibt hier kein richtig und kein falsch. Das hängt von der Ausgestaltung der Modellregionen ab“, sagt Generalsekretär Andreas Thaller.

Und so wird es eine politische Entscheidung bleiben, ob SPÖ und ÖVP es wagen, die Gesamtschulfrage im Alleingang zu beschließen. Die Grünen warnen schon jetzt davor: „Das ist ein Ritt über den Bodensee – und bei diesen Temperaturen würde ich das nicht empfehlen“, richtet der grüne Bildungssprecher, Harald Walser, den Regierungsparteien aus.

julia.neuhauser@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.01.2016)

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