Erstmals hat Österreich eine Suchtpräventionsstrategie. Sie ist weniger Anleitung zur Vorbeugung von Drogenelend, sondern Leitfaden für politisch korrekten Umgang mit Kranken.
Wien. Zum Thema Sucht, legale und auch illegale Drogen hat jeder eine Meinung. Welche davon politisch erwünscht sind, und wie man in Zukunft über das breite Themenfeld sprechen, welche Aspekte man berücksichtigen sollte, wurde am Donnerstag vom Ministerrat als „Österreichische Suchtpräventionsstrategie“ beschlossen. Das 24-seitige Papier, das unter der Regie des Gesundheitsministeriums entstand, ist genau genommen und trotz seines Titels keine Anleitung zur Suchtprävention, sondern ein Leitfaden für den politisch korrekten Umgang mit Kranken.
Bürgern, Eltern oder selbst von Sucht Betroffenen mag das auf den ersten Blick merkwürdig erscheinen, das Gesundheitsministerium, die Drogenbeauftragten der Bundesländer sowie über 100 Ärzte, Sozialarbeiter und andere Experten bewerten das Dokument jedoch als Meilenstein. Immerhin brauchte es zwischen SPÖ und ÖVP zwei Regierungsprogramme, ehe man sich auf das nun vorgestellte Dokument einigen konnte.
Im Kern ist der Leitfaden eine Art ethischer Überbau, eine Empfehlung für Bürger und Experten, wie man über Süchtige spricht, wie man mit ihnen umgeht. Die Strategie benennt Betroffene ausdrücklich als Kranke und nicht als charakterschwache Menschen, die aus freien Stücken einem Laster nachgehen. Sie fordert Geschlechtersensibilität in der Drogenarbeit, stellt Suchtkranke nicht an den Rand, sondern als Hilfsbedürftige in die Mitte der Gesellschaft. Eine Grundhaltung, die angesichts des langwierigen Prozesses zur Entwicklung der Präventionsstrategie offenbar – und aus welchen Gründen auch immer – bisher nicht der gelebten Realität entsprach.
Christoph Lagemann ist Vorstandsvorsitzender der Österreichischen Arbeitsgemeinschaft Suchtvorbeugung und war selbst an der Erstellung der Strategie beteiligt. Er beschreibt ihre zentralen Inhalte so: „Die Leute auf der Straße nehmen Drogen nicht, weil es ihnen Spaß macht, sondern weil sie krank sind. Durch dieses Papier bekommen alle Experten in Österreich ein gemeinsames Menschenbild.“ Übersetzt kann man das so verstehen, dass laut Präventionsstrategie Suchtkranken selbst wenig bis keine Verantwortung für ihre Lage zukomme, und viel mehr persönliche oder gesellschaftliche Lebensumstände dafür verantwortlich seien.
Streit salomonisch entschieden
Eine Feststellung, über deren Gültigkeit in der Vergangenheit Ideologen und Experten trefflich gestritten haben. Eine Feststellung, die heute noch in der Praxis handfeste Auswirkungen auf die Wahl der Therapieform hat. Beispielsweise gibt es Anhänger der Idee, dass am Ende jeder Suchtbehandlung die Abstinenz des Patienten als Ziel definiert sein müsse. Andere Experten hingegen sind der Ansicht, dass die Suchterkrankung bei sehr vielen Betroffenen derart stark ausgeprägt ist, dass diese oft nur beherrscht und verwaltet werden könne (zum Beispiel mit Ersatzmedikamenten), nicht aber geheilt. Die nun beschlossene Strategie der Regierung hingegen erkennt beides an, empfiehlt den durchführenden Stellen in den Bundesländern, sowohl die eine als auch die andere Methode anzuwenden.
Wer sich nicht an den Rahmen der Strategie halten will, hat jedoch nicht mit Strafen, Konsequenzen oder dem Einfrieren von Förderungen zu rechnen. Das versichert jedenfalls Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser. Die Ressortchefin sagt auch, dass für die Umsetzung der Strategie in der Praxis keine zusätzlichen Finanzmittel geplant sind. Dabei leisten die Bundesländer in den Bereichen Vorbeugung und Therapie ja bereits jetzt schon ihre Arbeit. Die Strategie sei nun nur ein neuer, im internationalen Vergleich übrigens verspätet beschlossener Rahmen.
Polizei schlägt Alarm
In einem anderen Bereich der Drogenthematik schlug zuletzt die Polizei Alarm. Um einen Dealer in Untersuchungshaft zu nehmen, muss diesem mit Gültigkeit des neuen Strafrechts ein monatlicher „Umsatz“ von 400 Euro nachgewiesen werden. Bei den im Straßenhandel beschlagnahmten Kleinstmengen kann das dazu führen, dass ein Dealer bis zu drei Mal erwischt werden muss, bevor er in Gewahrsam genommen werden kann.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.01.2016)