Regierungssprecher Zoltán Kovács nennt Kritik an geplanter Verfassungsänderung „Hysterie“. Österreichs Flüchtlingsobergrenze ist für ihn ein „Eingeständnis, dass die Willkommenskultur ein Fehler war“.
Budapest/Wien. „Eine rechtliche Absurdität“, nennt Anwalt György Magyar. Die geplante Einführung eines Terror-Notstandsrechts in Ungarn. „Die Regierung könnte damit die Bürgerrechte massiv einschränken, den Ungarn einen nordkoreanischen Lebensstil aufzwingen“, so Magyar zur „Presse“. Am Wochenende ging der Anwalt deshalb auf die Straße, mit Hunderten seiner Landsleute.
Die ungarische Regierung will wieder die Verfassung ändern. Ein „Notstandsrecht wegen terroristischer Gefahr“ soll ins Grundgesetz. Orbáns Kabinett könnte dann im Ernstfall für 60 Tage Gesetze umgehen, das Internet sperren, Ungarn den Kontakt mit Ausländern untersagen, um nur einige Beispiele zu nennen. Der ungarische Regierungssprecher, Zoltán Kovács, spricht angesichts der internationalen Kritik an diesem „ersten Gesetzesentwurf“ von „Hysterie“. Es würde nach den Pariser Anschlägen nun doch in ganz Europa über eine Änderung der Gesetze zur nationalen Sicherheit diskutiert. Und habe nicht auch Frankreich für drei Monate den Ausnahmezustand verhängt? Paris hatte dafür allerdings das Plazet des Parlaments. Den Terror-Notstand könnte Orbáns Regierung im Alleingang verhängen. Immer dann, wenn sie eine „terroristische Gefahr“ sieht. Eine allzu vage Formulierung, wie Kritiker monieren. Und doch stehen die Chancen gut, dass der Entwurf, möglicherweise modifiziert, im Februar mit Unterstützung der rechtsextremen Jobbik die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit erhält.
„Es zeigt sich: Wir hatten recht“
„Wir müssen vorbereitet sein“, sagt Kovács. Der neue Terror kenne keine Landesgrenzen mehr. Zugleich insinuiert der Regierungssprecher, dass es sich auch bei den Übergriffen auf Frauen in der Silvesternacht in Köln und anderen europäischen Städten um eine neue Form des Terrorismus gehandelt haben könnte. „Wir sollten jedenfalls den Experten, die das behaupten, zuhören.“ Terror und Flüchtlingsstrom: Zwei Themen, die in Ungarn seit Anbeginn der Flüchtlingskrise verwoben werden. Das geht „Hand in Hand“, sagt Kovács. Seine Regierung fühlt sich im Aufwind. Nun, da sich die Grenzkontrollen in Europa ausbreiten, die Asylgesetze von Land zu Land nachgeschärft werden. „Es zeigt sich: Wir hatten recht“, sagt Kovács. Zumal nun auch Österreich eine Obergrenze für Asylwerber eingezogen hat. „Das ist ein Eingeständnis, dass die Willkommenskultur und die Politik der offenen Grenzen ein Fehler war“, so Kovács. Langsam setze sich in Wien der „Hausverstand“ durch.
Aber der Begriff „Obergrenze“ irritiert ihn. Es sollen ja nicht weniger Flüchtlinge kommen, sondern gar keine. Das ist die ungarische Position. „Die Integration von Muslimen im Westen ist gescheitert“, sagt Kovács. Eine Obergrenze sende also das falsche Signal, dass es noch eine Chance gebe, man müsse es eben nur unter die 37.500 schaffen: „Die illegalen Migranten werden dafür lügen. Sie werden ihre Pässe fälschen“, meint Kovács. Und überhaupt: „Wie will Österreich diese Obergrenze einhalten?“
Der ungarische Regierungssprecher ermutigt europäische Länder zu nationalen Alleingängen bei der Grenzsicherung: „Eine gemeinsame europäische Antwort ist derzeit unmöglich“, sagt er. Auch das Abkommen mit der Türkei zur Eindämmung des Flüchtlingsstroms nach Europa besteht derzeit nur auf dem Papier. Schuld daran sei aber nicht Ankara, sondern die EU: Die Türkei „hat noch immer nicht das vereinbarte Geld bekommen. Italien ist dagegen. Wieso sollen sie uns dann helfen?“
Auch deshalb lenkt Ungarn den Blick nun auf Mazedonien, weder EU- noch Schengen-Mitglied. Eine neue, zweite „Verteidigungslinie“ soll in dem Balkanstaat entstehen. Dutzende Polizisten hat Ungarn an Mazedoniens Grenze zu Griechenland geschickt, sagt Kovács. Auch Material zur Errichtung eines Grenzzauns.
Zugleich erwägt Budapest, den nächsten Zaun hochzuziehen, diesmal an seiner rund 600 Kilometer langen Grenze zu Rumänien. Falls der Flüchtlingsstrom gen Osten umschwenken sollte, „sind wir vorbereitet“, sagt Kovács. (strei)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.01.2016)