Erdgas und Europas Energiezukunft

Der Gasverbrauch in der EU wird wieder steigen. Was spricht dagegen, die Gaskooperation mit Russland fortzusetzen?

Wolfgang Schollnberger präsentiert in seinem „Presse“-Gastkommentar „Sicheres Gas aus Russland? Um welchen Preis“ (19. Jänner) eine interessante, wenn auch unrichtige Lesart unseres Beitrags (siehe „Der Standard“ vom 3. Jänner). Wir haben uns weder für den vermuteten Asset-Swap ausgesprochen noch ungültige Vorzüge von Nord Stream 2 angepriesen, sondern einen nüchternen Blick auf die Energieversorgungssicherheit der EU verlangt.

Zu den Fakten: Die Europäische Kommission schätzt den jährlichen Gasverbrauch der EU in den kommenden Jahren auf 410 bis 420 bcm und damit höher als in den letzten Jahren ein. Die Eigenproduktion der EU sinkt. Experten erwarten bis 2030 einen Rückgang der europäischen Gasproduktion um 40 Prozent. Das bedeutet, dass die Importmengen zunehmen werden. Derzeit werden 66 Prozent des Gaskonsums der EU importiert.

Annähernd 30 Prozent des Gaskonsums der EU werden derzeit durch russisches Gas gedeckt. Gazprom nimmt damit unter den Gasversorgern der EU mit 43 Prozent den ersten Rang ein. 2015 ist der Import von russischem Gas um acht Prozent gestiegen. Das russische Gas wird über drei Routen in die EU transportiert – über die Pipeline Yamal, Nord Stream und das ukrainische Transitnetz.

Weniger Gas, mehr Kohle

Der Anteil von Erdgas am Energiemix der EU ist in den letzten Jahren leicht gesunken. Der Verbrauch von (billiger amerikanischer) Kohle ist hingegen gestiegen, damit auch die CO2-Emissionen. Ein Umstieg von Kohle auf Gas in der Stromproduktion würde den CO2-Ausstoß global um 15Prozent verringern. Die notwendige Infrastruktur, also Gaskraftwerke, ist in Europa verfügbar.

Der Anteil der sogenannten Erneuerbaren am europäischen Energiemix steigt. Deren Anteil lag 2015 bei vermutlich acht Prozent. Allerdings muss Grundlastkapazität zur Verfügung gestellt werden. Dies sollte nicht durch Kohlekraftwerke, sondern durch moderne Gaskraftwerke erfolgen.

Mannigfache Unsicherheiten

Die Steigerung der Energieeffizienz, der Ausbau der Erneuerbaren und die Schaffung eines Gasbinnenmarktes sind unverzichtbare Maßnahmen. Die Nutzung von Erdgas als Brückentechnologie ist dabei unvermeidbar. Daher ist zu klären, durch welche Lieferländer über welche Lieferrouten der Gasverbrauch in der EU abgedeckt werden kann.

Realistisch betrachtet kann kaspisches Gas (Aserbaidschan, Turkmenistan) den wachsenden Gasbedarf nicht decken. Dazu fehlt auch mittelfristig die Infrastruktur. Im Iran wird der Ausbau der heimischen Infrastruktur viele Jahre in Anspruch nehmen. Dasselbe gilt für das Gasfeld zwischen Zypern und Israel.

Die politische Instabilität von Ägypten bis Tunesien lässt Infrastrukturinvestitionen höchst riskant erscheinen, zudem begrenzt der stark wachsende Eigenkonsum in Nordafrika das für den Export verfügbare Gas. Die deutlich verstärkte Nutzung von LNG bleibt auf absehbare Zeit eine ungedeckte Hoffnung. Europäische Regasifizierungsanlagen sind nicht ausgelastet, und es fehlen Transportschiffe. LNG-Exporte der USA werden sich den preislich attraktivsten Markt suchen.

Wie also soll Europas steigender Gasverbrauch gedeckt werden? Weder die notwendige Steigerung der Energieeffizienz noch LNG, weder zentralasiatische noch Schwarzmeerförderungen, weder der Iran noch Norwegen können den steigenden Bedarf decken. Sollte man deshalb nicht sine ira et studio die Gaskooperation mit Russland fortsetzen?

Gerhard Mangott unterrichtet Politikwissenschaften an der Universität Innsbruck.

Johannes Pollak lehrt Politikwissenschaft am Institut für Höhere Studien (IHS) und an der Webster University Vienna.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.01.2016)

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