In Europa stieg die Zuwanderung um ein Drittel

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Seit 2000 nimmt die Mobilität innerhalb Europas und nach Europa deutlich zu. Das könnte sich laut dem Migrationsexperten Heinz Fassmann positiv auswirken, würden die richtigen Personen ausgewählt werden.

Wien. Die aktuelle Fluchtwelle ist nur ein Teil des gesamten Phänomens: Weltweit wird die Bevölkerung beweglicher, Massenwanderung wird zum Normalzustand. Die Internationale Migrationsorganisation der Vereinten Nationen (IOM) hat für das Jahr 2015 global eine Zahl von 244Millionen Menschen errechnet, die entweder in ein anderes Land ausgewandert sind oder als Migranten erster Generation dort bereits eine Staatsbürgerschaft erworben haben. Europa ist von diesem Trend besonders stark betroffen. Der „Bestand an Migranten“, wie ihn die IOM auswertet, hat im Vorjahr 76 Millionen Menschen betragen und war damit höher als in allen anderen Kontinenten. Die USA kamen im Vergleich auf 46,6 Millionen, ganz Asien auf 75 Millionen.

Seit dem Jahr 2000 ist die Zahl der Zuwanderer in europäische Länder insgesamt um 35 Prozent gestiegen. Allerdings je nach Land in sehr unterschiedlichem Ausmaß. Die Zahl ist in Nordeuropa und Südeuropa deutlich angewachsen, hingegen verzeichnet Osteuropa nach wie vor nur eine geringe Zuwanderung. Und auch in Frankreich wurde keine wesentliche Steigerung verzeichnet. Österreich hat in den vergangenen 15 Jahren einen besonders hohen Zuwachs erlebt. Der Bestand an Migranten ist von einer Million im Jahr 2000 auf mittlerweile 1,5 Millionen gestiegen. Dieses Plus von 50 Prozent liegt deutlich über dem EU-Schnitt. Wie aus Zahlen des Innenministeriums hervorgeht, kommt nach wie vor die größte Zuwanderungsgruppe mit 170.000 aus Deutschland. An zweiter Stelle liegen türkische Migranten mit rund 115.000 vor Serben mit 114.000 (Zahlen von Jänner 2015).

Der Trend hat laut dem Migrationsforscher Heinz Fassmann mehrere Ursachen. Zum einen steige mit dem Wirtschaftswachstum weltweit die Bereitschaft zur Wanderung. „Und zwar in etwa dem gleichen Ausmaß.“ In Europa kommt hinzu, dass die Binnenmarktregeln (Freizügigkeit) die Arbeitsmigration zwischen den EU-Mitgliedstaaten erleichtern. Gleichzeitig steigt laut Fassmann die Bildungsmigration. Immer mehr Studenten wechseln zu einem Ausbildungsplatz ins Ausland. Der dritte Faktor sind Fluchtwellen aus Kriegsgebieten, die derzeit einige europäische Staaten – darunter Österreich – deutlich stärker als andere unter Migrationsdruck setzen.

Zur Mitte des vergangenen Jahres lag der Anteil der Flüchtlinge laut IOM in Europa lediglich bei 1,9 Prozent der gesamten Migration. In Schweden mit 7,0 Prozent und Österreich mit 5,3 Prozent lag diese Zahl schon damals deutlich über diesem Schnitt, in der Slowakei (0,4%) oder Ungarn (0,6%) weit darunter. Nicht eingerechnet wurde das zweite Halbjahr 2015, in dem sich der Flüchtlingsstrom aus dem Süden noch deutlich verstärkt hat.

Volkswirtschaftlicher Effekt

Auch wenn es in der Bevölkerung starke Vorbehalte gegen die wachsende Zuwanderung gibt, ist das Phänomen aus volkswirtschaftlicher Sicht positiv zu bewerten. Zuwanderer bringen zusätzliche Produktions- und Kaufkraft ins Land. Allerdings kommt es laut Fassmann darauf an, ob auch tatsächlich jene Menschen aufgenommen werden, die auf dem Arbeitsmarkt gebraucht werden. Als Idealzustand sieht der Vizerektor der Universität Wien eine gezielte Auswahl der Migranten. Dies geschehe in Österreich bereits in kleinem Umfang über die Österreich-Card für besonders nachgefragte Berufsgruppen. Auch die Wanderung innerhalb des EU-Binnenmarkts funktioniert laut dem Migrationsexperten gut, da sie sich an Angebot und Nachfrage orientiere. Das heißt: Es kommen in erster Linie jene Arbeitskräfte, die Aussicht beziehungsweise sogar eine Zusage für einen konkreten Arbeitsplatz haben. Die Befürchtung, dass viele Menschen nur wegen höherer Sozialleistungen in Länder wie Österreich oder Deutschland einwandern, hält Fassmann für übertrieben. „Wer kommt schon wegen einer Mindestsicherung – insbesondere, wenn man diese mit dem hohen Preisniveau in diesen Ländern vergleicht.“

Volkswirtschaftlich problematischer ist die Zuwanderung jedoch bei Fluchtwellen. Es entsteht eine ungesteuerte Migration ohne Auswahl. Hier ist, so Fassmann, „der Effekt deshalb nicht so positiv“. Es müsste zuerst in die Ankommenden investiert werden. Gemeint sind Integrationsmaßnahmen und Schulungen, um sie auf die besonderen Ansprüche des nationalen Arbeitsmarkts vorzubereiten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.01.2016)

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