Mit der Gesetzesaxt durch das Steuerparadies

(c) Bloomberg (David Paul Morris)
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Die EU will die legalen Steuertricks von Google und Co. eindämmen. Gut so – wenn man dabei nicht übers Ziel schießt und Steuerwettbewerb abschafft.

Siebzig Milliarden Euro pro Jahr sind kein Pappenstiel. Damit könnte man beispielsweise rund 40 Prozent des EU-Budgets abdecken oder die Abschaffung aller österreichischen Bundessteuern einschließlich Lohn- und Mehrwertsteuer gegenfinanzieren. Ganz schön viel Geld, das den EU-Ländern durch die Steuervermeidungsstrategien von Großkonzernen verloren geht.

Verständlich also, dass die EU-Kommission jetzt gegen Steuervermeidungsstrategien internationaler Konzerne scharfmachen will. Bevor jetzt allerdings jemand wegen der Steuerflucht der bösen Konzerne in Schnappatmung verfällt: Wir reden hier nicht von Steuerbetrug, sondern von legaler Steuervermeidung. Die 70 Milliarden „Verlust“ für die europäischen Steuerbehörden entstehen also dadurch, dass Unternehmen gesetzlich gedeckte Steuerhintertüren in Anspruch nehmen.

Das kann man ihnen nur schwer vorwerfen. Im Gegenteil: Würden sie auf die Nutzung solcher gesetzlich gedeckter Möglichkeiten bewusst verzichten, würden sich ihre Manager genau genommen der Untreue gegenüber den Eigentümern schuldig machen.

Die EU-Kommission ist also erst einmal dabei, die Butter vom eigenen Kopf zu entfernen. Und davon ist wirklich reichlich vorhanden. Wer nämlich bisher gekonnt Steuern vermeiden wollte, war keineswegs auf Steueroasen auf zwielichtigen karibischen Eilanden angewiesen. Die EU-eigenen Unternehmenssteuerparadiese von Luxemburg über Zypern und Malta bis Irland und dem Holdingparadies Holland boten Auswahl genug. Und auch die Gewinnverschiebungen an den steuerlich jeweils günstigsten Fleck via interne Verrechnungen, Kredite unter Konzerntöchtern, Lizenzgebühren und Ähnliches wurden den Unternehmen nicht allzu schwer gemacht.

Wenn man also den global agierenden Konzernen massive Steuerflucht vorwirft, dann muss man den EU-Ländern gleichzeitig massive Fluchthilfe nachsagen. Dass die Kommission das jetzt zu reparieren versucht, ist mithin eine längst überfällige Maßnahme zur Steuergerechtigkeit. Denn mit dem (wichtigen) Steuerwettbewerb hat es nichts mehr zu tun, wenn gefinkelte Konstruktionen dazu führen, dass sich Großkonzerne praktisch ihrer Steuerlast komplett entledigen können.

Das jetzt von der Kommission ausgegebene Motto, dass Unternehmenssteuern möglichst dort anfallen sollen, wo das Geschäft gemacht wird, ist also eine grundvernünftige Idee. Zumal es Konkurrenzverhältnisse ein wenig zurechtrückt. Es ist ja nicht einzusehen, dass mittelständische Unternehmen von der vollen Steuerlast getroffen werden, während Apple, Amazon, Google und Co. (gegen deren Praktiken sich die EU-Initiative vor allem richtet) für ihre Geschäfte selbstverständlich die lokale Infrastruktur nutzen, ohne zu deren Finanzierung Wesentliches beizutragen.


Es wird aber keine ganz einfache Übung. Nicht nur deshalb, weil die Ideen der Kommission ja noch in allen Mitgliedsländern in nationales Recht umgesetzt werden müssen – von den EU-eigenen Steuerparadiesen also Selbstfesselung verlangt wird. Sondern auch, weil noch eine Welt außerhalb der Union existiert, auf die Steuerbehörden der Gemeinschaft wenig Einfluss haben. Steuerlich wirklich voll erwischen ließen sich globale Konzerne also wohl nur mit der globalen Steuerbehörde einer Weltregierung. Diese wird es Gott sei Dank wohl nicht so bald geben.

In unserer unvollkommenen Steuerwelt sind die Versuche, legale Möglichkeiten der grenzüberschreitenden Steuerflucht (und nur um diese geht es hier) einzudämmen, also eine recht brauchbare Idee. Sie sollte beherzt umgesetzt werden, ohne auf wettbewerbsschädliche EU-Einheitssteuern abzuzielen.

Die gestern vorgestellten EU-Vorschläge sind dafür brauchbar, aber sie sind noch nicht vollkommen. Selbstverständlich gilt auch im Unternehmensbereich: Die Steuern, die der eine „spart“, werden in der fiskalischen Praxis dem anderen aufgebrummt. Insofern kann man nur hoffen, dass die vorgestellte „Lex Google“ in der realen Welt auch halbwegs funktioniert.

E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.01.2016)

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