Das Schöne nicht wegraunzen

Architektur-Tour. Bei seinen Spaziergängen zeigt der Londoner Eugene Quinn den Wienern, warum ihre Stadt einzigartig ist. Auch hässliche Bauten gehören ins Bild.

Raunzen war wohl eines der ersten deutschen Wörter, die Eugene Quinn gelernt hat, als er vor sieben Jahren von London nach Wien übersiedelt ist. Den Grund dafür hat der gebürtige Engländer bis heute nicht wirklich verstanden: „Wien ist eine Stadt voller Schönheit, Freiraum und Möglichkeiten“, meint Quinn. Um auch Einwohner sowie Besucher der Stadt davon zu überzeugen, bietet der Londoner Touren durch die Grätzel Wiens an: Während der Fokus bei der Best City Tour auf den Vorteilen der Stadt liegt, steht bei der Ugly Tour die hässliche Seite der Wiener Architektur im Vordergrund. Ein Widerspruch? „Auch diese Tour ist etwas Positives. Wir feiern Gebäude, die das Architekturstudio nie hätten verlassen dürfen. Und liefern damit einen Anlass, um über Geschmack und Schönheit zu debattieren“, sagt Quinn.

Flakturm wie Mick Jagger

Wenig Spielraum zur Debatte liefert seiner Ansicht nach das als Glaspalast bekannte ehemalige Rechenzentrum in der Rathausstraße 1. „Überraschend, ein so hässliches Gebäude an einem so prominenten Platz zu sehen.“ Ein Abriss des Rechenzentrums, das seit dem Auszug der MA 14 leer steht, ist schon seit Längerem im Gespräch. Für mehr Begeisterung sorgt hingegen das Museumsquartier. „Die Architektur der Gebäude passt hier zwar nicht zusammen, trotzdem funktioniert das Zusammenspiel von alt und neu.“ Der achtgrößte öffentliche Kulturraum der Welt sei ein gelungenes Beispiel, wie historische Gebäude innovativ genutzt werden können.

Gemischte Gefühle ruft indes der Flakturm im Esterhazypark hervor, Bestandteil der Best City Tour. Für den Londoner ist er „hässlich und schön zugleich, wie Mick Jagger“, schmunzelt Quinn. „Die Flaktürme sind lächerlich, haben aber gleichzeitig einen gewissen Stil. Ich mag diese Macho-Attitüde“, sagt der Engländer, der dabei gleich seinen Plan für den Sommer verrät. Just auf der in Kriegszeiten erbauten Luftschutzanlage sollen traditionelle jüdische Gerichte serviert werden. „Eine späte Revanche an den Nazis“, formuliert es Quinn augenzwinkernd.
„Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit“. Der Wahlspruch der Secession des Schriftstellers und Journalisten Ludwig Hevesi verdeutlicht für Quinn, dass Architektur Sinnbild einer speziellen Geisteshaltung sein kann. „Gerade in Wien herrschte damals die Freiheit, Kreativität vollends auszuleben. Selbst Geisteskrankheiten wurden nicht sofort medikamentiert. Der Kreativität wurde freien Lauf gelassen.“

Eine weitere Eigenheit Wiens offenbart sich dem Londoner das als Semperdepot bekannte Atelierhaus der Akademie der bildenden Künste in der Mariahilfer Lehargasse. Obwohl die Räume als Lager für Theaterrequisiten oder einmal von Robbie Williams als Videodrehort genutzt wurden, stehen einige Flächen leer. „In London herrscht großer Druck auf Fläche, jeder leer stehende Raum wird genutzt. Dieses Unkommerzielle in Wien hat einen eigenen Charme.“
Ein Charme der ganz anderen Art geht vom TU-Gebäude beim Karlsplatz aus, das nicht zu den Favoriten von Quinn zählt. „Mir fehlt ein großer Eingang. Die Fenster sind zu schmal, und das gesamte Gebäude sieht – wie auch die große Eule – einfach lächerlich aus“. Trotzdem kann die TU nicht mit dem für Quinn hässlichsten Gebäude Wiens mithalten: dem Ungarischen Kulturinstitut Collegium Hungaricum in der Hollandstraße. Doch auch dieser architektonische Ausrutscher erfüllt einen gewissen Zweck. „Die hässlichen Bauten tragen dazu bei, dass die Schönen noch schöner wirken.“

Zu Person und Route

Eugene Quinn ist Mitbegründer der Gruppe Space and place, die die Stadt „gestalten und bespielen“ will. Ziel ist die „kulturelle Raumgestaltung“. www.spaceandplace.at
Die nächste Best City Tour startet am 30. Jänner um 10.30 Uhr in der Rathausstraße 14.
Die angeblich hässlichsten Gebäude von Wien stehen bei der Ugly Tour am 6. Februar auf dem Programm. Treffpunkt um 10.30 Uhr bei der Oberen Augartenstraße 40, 1020 Wien.

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