Der britische Premier konferierte am Freitag mit Kommissionschef Juncker, am Sonntag reist Ratspräsident Tusk nach London. Cameron will den Deal beim EU-Gipfel am 18./19. Februar besiegeln.
Brüssel. „Husch, husch, ins Körbchen“, hieß es am gestrigen Freitag im Brüsseler Bürokomplex Berlaymont, dem Hauptquartier der EU-Kommission. Am frühen Nachmittag betraten ein schweigsamer David Cameron und ein ebenso wortkarger Jean-Claude Juncker das Gebäude, um über die britischen Forderungen im Zusammenhang mit dem bevorstehenden Referendum über den Verbleib Großbritanniens in der EU zu sprechen. Die Tatsache, dass der britische Premierminister einen geplanten Skandinavien-Besuch absagte, um nach Brüssel zu eilen, deutet darauf hin, dass ein Kompromiss zum Greifen nah ist. Im Anschluss an das Treffen mit Juncker parlierte Cameron mit Martin Schulz, dem Präsidenten des Europaparlaments. Und am morgigen Sonntag wird Ratspräsident Donald Tusk in der Downing Street 10 erwartet.
Die Stunde der Wahrheit schlägt aller Voraussicht nach am 18./19. Februar, wenn die Staats- und Regierungschefs der Union zu ihrem planmäßigen Treffen nach Brüssel kommen – und das führt uns zurück zum eingangs erwähnten Körbchen. Denn Cameron hat die britischen Begehrlichkeiten in vier sogenannte Körbe gepackt, von denen einer besonders umstritten ist: London möchte nämlich EU-Ausländern den Zugang zu Sozialleistungen für vier Jahre vorenthalten – was dem in den EU-Verträgen festgeschriebenen Prinzip der Gleichbehandlung aller EU-Bürger zuwiderläuft.
Der Kompromiss, der sich zuletzt abzeichnete, zielt auf die Installation einer „Notbremse“, die betätigt werden kann, sollte ein EU-Mitglied mit massiver Zuwanderung konfrontiert sein. Unbeantwortet bleibt dem Vernehmen nach allerdings die Frage, wer bremsen darf – der betroffene Mitgliedstaat oder die EU-Kommission. Die letztgenannte Lösung wäre für britische EU-Gegner wohl kaum akzeptabel, während die erste Variante in den osteuropäischen Hauptstädten nicht gut ankommt. In den restlichen drei Körben finden sich Themen, die deutlich weniger umstritten sind – etwa die Feststellung, dass die EU mehrere Währungen hat, eine britische Ausnahme vom vertraglich fixierten Ziel der „immer engeren Union“ europäischer Völker oder mehr Mitsprache für nationale Parlamente.
Zweite Chance im März
Guntram Wolff und André Sapir von der Brüsseler Ideenschmiede Bruegel halten die letzte Forderung für problematisch, weil sie die dringend notwendige Kooperation innerhalb der Eurozone behindern könnte. Einen möglichen Ausweg sehen sie darin, den Europäischen Gerichtshof mit der Aufgabe zu betrauen, Konflikte zwischen Euro-Outsidern und -mitgliedern zu schlichten. Als ein symbolisches Angebot an London schlagen die beiden Experten vor, die Reihenfolge der Treffen der EU-Finanzminister zu ändern und die Euro-Gruppe erst im Anschluss an das Treffen aller 28 EU-Ressortchefs abzuhalten.
Sollte es beim kommenden Gipfel keinen Deal geben, hätte Cameron noch eine zweite Chance beim darauffolgenden regulären Gipfeltreffen im März. Der Premier will die Briten im Sommer abstimmen lassen. (la)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.01.2016)