Christoph Schönborn widerspricht der Definition von Nächstenliebe des ÖVP-Präsidentschaftskandidaten.
Wien. Kardinal Christoph Schönborn gilt als vorsichtiger Mann. Für Stellungnahmen zur Tagespolitik gibt er sich eher selten her. Für Zurechtweisungen von Akteuren noch seltener. Zuletzt hat sich der Wiener Erzbischof auch bei Predigten besonders gegen FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache gewendet, genauer gegen dessen Wortwahl oder die Verwendung eines Kreuzes während einer Kundgebung. Und jetzt das: Er wendet sich gegen einen Spitzenvertreter der sich als christlich-sozial definierenden ÖVP. Gegen Andreas Khol. Ausgerechnet.
Der bekennende Katholik hatte als frisch gekürter Kandidat seiner Partei für das Amt des Bundespräsidenten bei der ÖVP-Klausur vor mehr als zwei Wochen gemeint: „Ich bin ein Freund der Nächstenliebe. Die Nächstenliebe kann aber nicht nur eine Fernstenliebe sein. Charity begins at home – wir müssen zuerst auf unsere Leut' schauen.“ Schönborns späte Antwort, ohne den Namen Khol auch nur ein Mal zu nennen, diesmal in seiner Kolumne für die Gratiszeitung „Heute“ formuliert: „Ich gebe dem Politiker recht: Charity begins at home – Liebe beginnt zu Hause. Wo ich aber dem Politiker widerspreche: ,Nächstenliebe‘ im Sinne Jesu meint eindeutig Zuwendung zu dem, der gerade in Not ist.“
„Auf eigene Leute schauen“
Schönborn verweist in seiner kleinen Katechese auf das Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Die Nächstenliebe sei für Jesus das „höchste, erste und wichtigste Gebot“. Dieser habe auf die Frage, wer der Nächste sei, folgende Antwort gegeben: Es gehe um den, „der gerade in Not ist“. Nächstenliebe praktiziere daher, „wer nicht wegschaut, wenn andere Hilfe brauchen – egal, wie nahe oder fern sie mir stehen“, betonte Schönborn.
In einem Punkt gab der Kardinal aber Khol indirekt auch wieder recht – Liebe beginne zu Hause und sei mit Verantwortung verbunden: „Ich kannte einen Pfarrer, der sich so sehr um Flüchtlinge kümmerte, dass seine eigene Pfarrgemeinde verkümmerte. Eltern müssen zuerst für die eigenen Kinder sorgen. Ein Land muss auf seine eigenen Leute schauen.“ (d. n.)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.01.2016)