Die Abwesenheit der anderen

(c) KUNSTHAUS BREGENZ/MARKUS TRETTER
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Die schottische Turner-Preisträgerin Susan Philipsz verwandelt das Kunsthaus Bregenz mit Musik von Hanns Eisler zu einem akustischen Holocaust-Memorial.

Aus den Baumwipfeln dringt sie, ganz fein, ganz schwebend, ganz leise. Die Stimme einer Piccoloflöte legt sich seit diesem Wochenende über den nächstes Jahr 400 Jahre alten jüdischen Friedhof in Hohenems, mit einer Melodie, die man auf Anhieb nicht erkennt. Es ist ein besonderer Ort, er liegt auf einem bewaldeten Abhang, steinerne Stiegen führen durch die noch rund 370 erhaltenen Grabsteine. Von hier blickt man tief hinein ins Tal – und auf den neuen muslimischen Friedhof gleich daneben, doch das ist eine andere Geschichte.

Die Geschichte, die die schottische Sound-Künstlerin Susan Philipsz hier erzählen will, ist die des Holocaust. Seit Jahren spürt sie ihm nach, lädt Orte mit Klängen auf, dass sie plötzlich wieder zu Orten der Erinnerung werden. So etwa bei der vorigen Documenta 13, als man Gruppen von Menschen sinnend auf einem Bahnsteigende des Kasseler Hauptbahnhofs stehen, sitzen, lehnen sah. Sie hörten eine seltsam versetzte Streichermelodie, die aus vielen Lautsprechern über den Köpfen klang – als würde der Wind über die Dutzenden, über den Bahnhof gespannten Stromkabel wie Saiten streichen. Die „Studie für Streichorchester“ hat der tschechische Komponist Pavel Haas 1943 im KZ Theresienstadt geschrieben, sie wurde dort noch aufgeführt, kurz danach wurde Haas in Auschwitz-Birkenau ermordet. Auch vom Kasseler Bahnhof gingen Menschentransporte ab.

In „Nacht und Nebel“. Die Assoziationskette, die Philipsz jetzt in Bregenz auslegt, ist komplexer. Sie begann nicht auf dem jüdischen Friedhof, sondern mit einem Besuch des seegrüngrau verglasten Kunsthauses Bregenz, das von Architekt Zumthor als eine Hommage an den Nebel gedacht war, der in den Wintermonaten so beständig über dem Bodensee hängt. Was die mittlerweile in Berlin wohnende Künstlerin sofort an den Titel des ersten Films erinnerte, der über die Konzentrationslager gedreht wurde, „Nacht und Nebel“ von Alain Resnais 1955, erzählt sie.

Er war ihr deshalb so präsent, weil sie durch mehrere Ausstellungen, etwa für den Hamburger Bahnhof in Berlin 2014, zu einer Spezialistin für den österreichischen Komponisten Hanns Eisler geworden ist. Und dieser hatte damals die Filmmusik zu Resnais collageartigem Film geschrieben. Für das Kunsthaus Bregenz ließ sie das Stück im Studio noch einmal einspielen, doch nur die Stimmen von fünf Instrumenten und jeden Ton einzeln. Denn jeder Ton hat einen eigenen Lautsprecher, ein kompliziertes Konzept, das den Effekt hat, dass man sich in einer Melodie räumlich bewegen kann, wenn man unter den Lautsprechern geht.

Neben der Flöte, die auf dem Friedhof ihren Part hat – inklusive der Pausen, in denen die anderen Instrumente spielen, die man ja nicht hört – bekam jedes der vier Stockwerke im Kunsthaus ein eigenes Instrument zugewiesen – Horn, Klarinette, Bassklarinette und ganz oben die Violine.

Eine Eigenart des Kunsthauses nützt Philipsz hier zum Vorteil, die Stockwerke sind akustisch nicht voneinander zu trennen, in jedem Stock hört man so den Widerhall der anderen Instrumente. Man hört sie aus der Distanz, ein Wort, das Philipsz wichtig ist. Nachhall, Echo, Distanz – all das arbeitet daran, dass man genau hinhören muss, sich konzentrieren muss auf die Geschichte, die einem durch die Musik wieder durch und durch geht.

Instrumente mit Kriegsschäden. Das ganze Kunsthaus wird so zum Klangraum, zu einem Holocaust-Memorial, das sich auf dem nur wenige Kilometer entfernten jüdischen Friedhof verankert. Man merkt, dass Philipsz eigentlich von der Bildhauerei kommt. Sie verwendet dabei nicht nur Klang als Material, sondern auch den Atem und die Instrumente, die ihn erzeugen. So ließ sie Musiker für eine andere Arbeit einmal auf vom Krieg beschädigten Instrumenten aus einer Berliner Museumssammlung spielen, Fotos von ihnen hängen jetzt auch im Kunsthaus. Genau wie große Prints der teilweise geschwärzten Akten, die das FBI über den Exilanten Eisler anlegte. Die Lücken sind es, die unerwartete Stille, die Abwesenheit der anderen Stimmen, die Platz zum eigenen Denken schaffen. Genau wie die Lücken in der Musik, in der Melodie, mit denen Philipsz arbeitet.

Bis 3. April, www.kub.at

Steckbrief

1965 wurde Susan Philipsz in Glasgow geboren, sie studierte Bildhauerei, begann erst mit ihrer eigenen Stimme und dann mit Musik als Material zu arbeiten.

2010 gewann sie den Turner-Preis, den wichtigsten Preis für junge englische Kunst.

2012 wurde sie zur Documenta 13 eingeladen, sie lebt und arbeitet heute in Berlin.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.01.2016)

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