Spaghetti sind besser als ihr Ruf

(c) Clemens Fabry
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Die Nudel wird am Grazer Institut für Pathophysiologie und Immunologie wissenschaftlich untersucht. Die al dente gekochte Hartweizennudel ist nicht automatisch Dickmacher. Das sind vielmehr die fetthaltigen Saucen.

Die Nudel kam in Graz zu wissenschaftlichen Ehren. Am Institut für Pathophysiologie und Immunologie der Medizinischen Universität ging man der Frage nach, ob Nudeln wirklich solche Dickmacher sind, wie es manche Experten und Nichtexperten immer wieder behaupten. Oder sind Nudeln vielleicht doch wertvolle Sattmacher?

Bekannt ist: Kohlenhydrate wie sie Nudel oder Kartoffel liefern, werden in der Regel schneller verdaut als Fette und Eiweiße. „Kohlenhydrate spalten sich zu Zucker auf, wenn sie von unserem Körper verdaut werden“, sagt Sandra Johanna Wallner-Liebmann, jene Professorin, die Spaghetti und Co. unter die wissenschaftliche Lupe genommen hat. Bei wenig körperlicher Bewegung verbraucht der Körper die zugeführte Energie aber nicht gleich, sondern speichert sie – mehr Kilos, als einem lieb sind, Übergewicht kann die Folge sein. Aber sind wirklich die Nudeln daran schuld?

„Es kommt darauf an, woraus die Nudeln gemacht sind“, weiß die Forscherin. Die bei uns üblichen getrockneten Nudeln aus Hartweizen könne man jedenfalls nicht so einfach als Dickmacher abstempeln. „Sie sind mineralienreich und kalorienarm.“ Und wenn sie al dente, also nicht totgekocht sind, haben sie laut Wallner-Liebmann auch einen niedrigen glykämischen Index. Das bedeutet, dass der Zucker langsamer ins Blut übergeht und die Sättigung länger anhält. „Langzeitkohlenhydrate machen nicht dick. Daher spricht man in letzter Zeit immer häufiger von Slow Carb, das vielleicht dem Low Carb den Rang ablaufen wird.“ Werden die Nudeln allerdings zu lang gekocht, lockert sich deren Textur, der glykämische Index wird erhöht, man ist schnell wieder hungrig. „Das passiert übrigens auch bei den asiatischen Reisnudeln. Deren glykämischer Index erhöht sich aber bereits bei normaler Kochdauer.“


Slow Carb. Die europäische Hartweizennudel sei jedenfalls ein Paradebeispiel für Slow Carb. Und die ballaststoffreiche Vollkornnudel liefere einen weiteren Zusatznutzen: eben Ballaststoffe, aber auch Mineralien und einen beachtlichen Anteil an B-Vitaminen. „Gerichte mit europäischen Nudeln werden erst dann zu Dickmachern, wenn sie mit fetthaltigen Saucen, viel Crème fraîche oder Butter kombiniert werden“, sagt die Forscherin.

Sind also Low-Carb-Diäten nicht dieses Allheilmittel gegen das globale Übergewicht, als das sie so oft gepriesen werden? Zum Beispiel jüngst wieder vom Arzt und Vielschreiber Ulrich Strunz, der die Nudel in einem seiner neuesten Bücher gänzlich verdammt. In „Warum macht die Nudel dumm? Leichter, klüger, besser drauf: No Carbs und das Geheimnis wacher Intelligenz“ (Heyne-Verlag) werden Nudeln und Kohlenhydrate nicht nur als Krank- und Dick-, sondern auch als Dummmacher verteufelt. „Es sind die Kohlenhydrate, durch die wir immer dicker und schlapper, müder und blöder werden“, schreibt Strunz. „Wenn Sie nudelfrei leben, schaltet Ihr Körper von Carbverbrennung auf Fettverbrennung um.“ Strunz behauptet ferner, dass ein Übermaß an Carbs hauptverantwortlich für Übergewicht und Fettleibigkeit und mitverantwortlich für Herz-Kreislauf-Probleme, Diabetes, Demenz und Krebs sei. Nicht hoher Fleischkonsum stelle eine erhöhte Krebsgefahr dar, sondern „Carbs machen Darm- und Brustkrebs“.

Die China Study (eine der weltweit größten epidemiologischen Studien über den Zusammenhang zwischen Krankheit und Ernährung; sie besagt, dass sich selbst geringe Mengen tierischer Produkte negativ auf unsere Gesundheit auswirken) behauptet anderes, und auch die Grazer Forscherin kennt eine andere Studienlage: „Eine kohlenhydratarme Kost erhöht längerfristig die Gesamtmortalität.“ Die Erklärung dafür: Geringer Kohlenhydratkonsum zieht automatisch und evolutionsbedingt eine fleischlastige Kost nach sich. Damit nimmt man mehr gesättigte Fettsäuren zu sich und erhöht so sein Risiko für eine Herz-Kreislauf- oder Krebserkrankung.

„Zu viele tierische Fette stellen auf alle Fälle eine Gesundheitsgefährdung dar“, ist Wallner-Liebmann überzeugt. Der Worst Case auf dem Teller seien Lebensmittel mit hohem glykämischen Index (zum Beispiel Pommes frites) plus Fett. „Das ist eine zweifache Direktbelastung für den Körper, Zucker und Fette im Blut steigen gleichzeitig an.“ Wer fünfmal die Woche solche Lebensmittel zu sich nehme, ruiniere damit langfristig Leber und Herz und esse sich im wahrsten Sinn des Wortes spitalsreif. „Die europäische Hartweizennudel ohne extreme Fettzugabe ist jedoch eine sinnvolle Möglichkeit eines gesunden Fast Foods.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.01.2016)

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