In Äthiopien droht große Hungersnot

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Das Land erlebt die schlimmste Dürre seit 30 Jahren, die Erinnerungen an die Hungerkatastrophe von 1984/1985 weckt. Außenminister Kurz warnt bereits vor neuem Flüchtlingsstrom.

Wien/Addis Abeba. Noch gibt es kein Massensterben, auch keine Massenflucht von Hunderttausenden, die ihr Leben retten wollen. Und doch ist das eine Gefahr, die in Äthiopien keiner mehr ausschließen kann – nicht die Hilfsorganisationen, nicht die Geberländer und nicht die ehrgeizige Regierung, die vom Status eines Schwellenlandes bis 2025 träumt.

Das ostafrikanische Land mit seinen rund 94 Millionen Einwohnern erlebt die schlimmste Dürre seit 30 Jahren. Schon werden die Erinnerungen wach an die große Hungersnot der Jahre 1984 und 1985, als bis zu einer Million Menschen starben. Hilfsorganisationen warnen vor einer neuen, gewaltigen Hungerkatastrophe noch in diesem Frühjahr. In europäischen Hauptstädten wächst die Befürchtung, dass von Äthiopien die nächste große Fluchtbewegung ausgehen könnte.

Auch Außenminister Sebastian Kurz, der ab heute Äthiopien besucht, warnte vor einem „neuen Flüchtlingsstrom aus Afrika in Richtung Europa“. Daher „müssen wir die Menschen in Äthiopien vor dem Hungertod bewahren und neue Perspektiven vor Ort schaffen“.

18 Millionen Hilfsbedürftige

Im vergangenen halben Jahr ist der Regen praktisch ausgeblieben und damit ein Großteil der Ernte. Nach Angaben der Austrian Development Agency (ADA) sind durch die Dürre bereits rund zehn Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen – zusätzlich zu jenen acht Millionen in den chronischen Dürreregionen, die ohnehin seit Jahren vom nationalen Ernährungssicherheitsprogramm unterstützt werden. So sind es insgesamt 18 Millionen Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind – beim Essen, Wasser und medizinischer Versorgung.

Die Zahl könne noch steigen, weil es keine genauen Vorhersagen zur großen Regenzeit in den Monaten Juli und August gebe, heißt es bei der ADA. Eine Entspannung ist demnach erst im Herbst zu erwarten – falls die nächste Haupternte gut ausfallen sollte.

Die Kosten für diesen gewaltigen Versorgungsbedarf sind nur zum Teil gedeckt. Die kalkulierten 1,48 Milliarden US-Dollar, um die Hungernden zu versorgen, sind bisher zu 46 Prozent gesichert, durch Beiträge der Regierung und Zusagen der Geberländer. „Das heißt, es kann eine Versorgung bis April sichergestellt werden“, heißt es bei der ADA – ab April, aus heutiger Sicht, dann nicht mehr. Weil die Beschaffung von Nahrungsmitteln, Saatgut und Medikamenten aber eine Vorlaufzeit braucht, müssten schon jetzt weitere Finanzmittel zur Verfügung stehen, um die Güter bis April zu organisieren.

Der Regierung kommt die drohende Hungersnot höchst ungelegen. Sie passt nicht in das Bild eines zwar immer noch sehr armen, aber wirtschaftlich aufstrebenden Landes, das zuletzt mit Wachstumsraten von etwa zehn Prozent glänzte. Dürre ist deshalb ein Wort, das die Regierung in Addis Abeba nicht gern verwendet. Sie spricht vom El-Niño-Effekt, denn das Klimaphänomen gilt als eine der Hauptursachen für die derzeitige Lage. Beobachter werfen der politischen Führung vor, die dramatische Lage über Monate heruntergespielt zu haben.

Flüchtlinge aus Südsudan

Dabei steht Äthiopien derzeit vor einem Flüchtlingsproblem: Mit 820.000 Menschen – überwiegend aus den Nachbarländern Südsudan, Eritrea und Somalia – hat das Land die größte Flüchtlingspopulation in Afrika. Vor allem der Konflikt im Südsudan ließ die Zahlen in die Höhe schnellen. Zwei- bis fünftausend Menschen kommen pro Monat aus dem jungen Staat in Äthiopien an, Gleiches gilt für Eritrea.

Sebastian Kurz will in Äthiopien deshalb vor allem über humanitäre Hilfe und Migration sprechen und auch ein Flüchtlingslager besuchen. Der ostafrikanische Staat ist seit 1993 Schwerpunktland der ADA. Der Gesamtbetrag der österreichischen Entwicklungshilfeleistungen belief sich 2014 auf 7,27 Millionen Euro.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.02.2016)

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